Deutsche AIDS-Hilfe LogoTake-Home Naloxon für Patient*innen in Substitutionsbehandlung – wie passt das zusammen?

NAL-Train

Naloxon ist ein Opiatantagonist, der die lebensbedrohlichen Wirkungen einer Opiatüberdosierung aufheben kann. Insbesondere durch die Darreichungsform als Nasenspray ist Naloxon einfach und sicher durch Laien bei einem Drogennotfall anwendbar. Bei geschätzten 165.000 Opiat­konsumierenden in Deutschland1, sind im Jahr 2020 572 Menschen auf Grund von Konsum von Opiaten alleine oder in Verbindung mit weiteren Substanzen verstorben.2

Eine Substitutionsbehandlung reduziert die Sterblichkeit von Menschen mit einer Opioidabhängigkeit eindrucksvoll im Vergleich zu opioidabhängigen Menschen ohne eine solche Behandlung. Insbesondere das Risiko auf Grund einer Überdosierung zu versterben sinkt.3 Dennoch versterben auch Menschen in Substitutionsbehandlung auf Grund von Konsum illegaler Substanzen und Überdosierungen von Opiaten. Das European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction geht davon aus, dass europaweit 30%-50% aller Todesfälle von Opiatgebrauchenden auf eine Überdosierung zurückzuführen sind.4

© DAH / Mathias Heuser© DAH / Mathias Heuser

Sowohl der Beginn einer Substitutionsbehandlung als auch das Ende oder der Abbruch einer solchen
Behandlung sind besonders riskante Phasen, die das Risiko einer Überdosierung erhöhen können.4,5 Das bayerische Modellprojekt zu Take-Home Naloxon dokumentiert 70 Einsätze von Naloxon. Die betroffenen Personen haben sich entweder aktuell in einer Substitutionsbehandlung befunden (24%), haben vor kurzem eine Substitution begonnen (9%) oder vor kurzem die Substitutionsbehandlung abgebrochen (6%).6 Das zeigt, dass eine Substitutionsbehandlung zwar das Risiko senkt, aber Naloxon auch innerhalb dieser Gruppe Leben retten kann.

Lebensrettende Ergänzung

Beikonsum ist kein Grund eine Substitutionsbehandlung abzubrechen, aber das Ziel der Behandlung ist dennoch, den Konsum illegal erworbener Opioide möglichst zu beenden und eine Reduktion des Konsums anderer
legaler und illegaler psychoaktiver Substanzen wie Kokain, Medikamente oder Amphetamine einzuschränken. Aus der Praxis wissen wir aber, dass sehr viele Substitutionspatient*innen diese Ziele erst nach längerer Zeit oder gar nicht erreichen. Da der erneute Konsum auch nach längeren Phasen der Abstinenz ein wesentliches Kennzeichen der Suchterkrankung ist, steht die Verschreibung von Naloxon an Personen in einer Substitutionsbehandlung keinesfalls im Widerspruch zu den Behandlungszielen. In bisherigen Studien konnte nicht nachgewiesen werden, dass Take-Home Naloxon zu einem riskanteren Konsum führt.

Take-Home Naloxon

Take-Home Naloxon Programme zielen auch nicht darauf ab, bestehende Behandlungen oder Maßnahmen zu ersetzen, sondern sind viel mehr als lebensrettende Ergänzung zu Bestehendem gedacht. Soweit Patient*innen in einer Substitutionsbehandlung eine Verschreibung des Antidots nicht explizit ablehnen, ist davon auszugehen, dass alle Substitutionspatient*innen unabhängig vom aktuellen Konsumverhalten und eventuellem Beikonsum über Nyxoid® als Naloxon Nasenspray informiert werden und eine Verschreibung angeboten werden sollte. Auch unter Menschen in Substitutionsbehandlung ist eine Überdosierung durch Opiate eine der häufigsten
Todesursachen.7 So kann die Verschreibung von Naloxon und die vorherige Schulung mit dem Ziel ein sicheres Handeln im Drogennotfall zu gewährleisten, eine wichtige Maßnahme sein, um Leben zu retten.

Bundesmodellprojekt NALtrain

Problem: Graue Haare nichtt HIV

Menschen mit HIV können heute leben wie alle anderen – und haben darum auch die gleichen Alltagsprobleme. Das illustriert die gemeinsame Welt-Aids-Tags-Kampagne „Leben mit HIV. Anders als du denkst.“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Deutschen AIDS-Stiftung und der Deutschen Aidshilfe.
Die Kampagne soll Vorurteile und Berührungsängste abbauen und so Stigmatisierung und Diskriminierung entgegenwirken. www.welt-aids-tag.de


Diskriminierung in Zahlen

Der Befund ist klar: Menschen mit HIV leiden heute weniger unter ihrer Infektion als unter Vorurteilen, Stigmatisierung und Diskriminierung. Bei der Befragung positive stimmen 2.0 der Deutschen Aidshilfe und des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) gaben 90% an, sie würden gut mit HIV leben, drei Viertel fühlen sich gesundheitlich nicht oder nur wenig eingeschränkt. 95% berichteten jedoch von Diskriminierungserfahrungen in den 12 Monaten vor der Befragung. 52 Prozent gaben an, durch Vorurteile bezüglich der HIV-Infektion in ihrem Leben beeinträchtigt zu sein. Besonders häufig kommt Diskriminierung nach wie vor im Gesundheitswesen vor. 56% hatten mindestens eine negative Erfahrung gemacht. 16% war eine zahnärztliche Versorgung verweigert worden, 8% eine allgemeine Gesundheitsleistung. Eine Konsequenz: Ein Viertel der Befragten legt seinen HIV-Status im Gesundheitssystem nicht mehr immer offen.

Neben einer Online-Befragung mit knapp 1.000 Teilnehmer*innen wurden rund 500 Menschen mit HIV von selbst HIV-positiven Interviewer*innen befragt. www.positive-stimmen.de

Das durch das Bundesministerium für Gesundheit geförderte Bundesmodellprojekt NALtrain (Konzeption, Umsetzung und Evaluation eines wissenschaftlichen Modellprojekts zur Durchführung deutschlandweiter qualitätsgesicherter Take-Home Naloxon Schulungen) hat zum Ziel, bis Mitte 2024 Naloxon als Überlebenshilfe erstmals flächendeckend in Deutschland zu implementieren. Dafür werden Mitarbeitende aus Drogen- und Aidshilfeeinrichtungen befähigt, Opioidkonsument*innen und Menschen in Substitutionsbehandlung im Umgang mit einem Drogennotfall und der Anwendung von Naloxon zu schulen. Um Naloxon nachhaltig und flächendeckend in Deutschland zu implementieren, beschränkt sich NALtrain nicht auf die niedrigschwelligen Drogenhilfeeinrichtungen. Auch ambulante oder stationäre ärztliche Behandlungseinrichtungen, wie Entzugsambulanzen oder auch kassenärztliche Praxen, sollen Teil des Projektes sein.

So wie in der DRUCK-Studie des RKI die Substitutionsbehandlung als Zugang zu antiviralen Testungen vorgeschlagen wird8, erscheint es sinnvoll, auch Take-Home Naloxon als einen standardmäßigen Baustein in die Substitutionsbehandlung zu integrieren. Besonders dort ist der Kontakt zu den Patient*innen und die Möglichkeit Naloxon über ein kassenärztliche Rezept zu finanzieren gegeben.

Die Verschreibung von Naloxon kann sich auch positiv auf das Arzt/Ärztin Patient*innen Verhältnis auswirken. So wird die Gefahr einer Überdosierung ernst genommen und durch den Besitz des Notfallmedikamentes, der*die Patient*in empowert und damit mehr Kontrolle über die eigene Lebenssituation ermöglicht. Auch die Aufarbeitung eines Naloxoneinsatzes kann zur Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen Mediziner*in und Patient*in beitragen.

Insgesamt betrachtet ist Take-Home Naloxon besonders wirkungsvoll, wenn ein großer Anteil an opiatgebrauchenden Personen Naloxon mit sich führt. Da es nicht möglich ist sich bei einer Überdosierung das Antidot selbst zu verabreichen, erfolgt die Gabe immer durch andere anwesende Personen. Der Konsum von Opiaten findet häufig nicht alleine statt. Bei einer Überdosierung reicht es bereits aus, wenn eine der anwesenden Personen Naloxon mit sich führt, um reagieren zu können.

Wichtiger Baustein zur Prävention

Wir möchten Sie als Allgemeinmediziner*in, Suchtmediziner*innen, Infektiolog*in oder als Ärzt*in einer anderen Fachrichtung einladen, sich an NALtrain zu beteiligen und Naloxon zu einem erfolgreichen Baustein in der Gesamtstrategie zur Prävention drogenbedingter Not- und Todesfälle zu etablieren. Das Bundesmodellprojekt NALtrain bietet in regelmäßigen Abständen Webinare für Ärztinnen und Ärzte an und übernimmt die Aufgabe, kommunale Netzwerke zwischen der sozialen Arbeit und der Medizin zu knüpfen. Bei Interesse wenden Sie sich gerne an info@naltrain.org. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Website www.naloxontraining.de/naltrain/. Naloxon rettet Leben.



1 Kraus, L. IFT Institut für Therapieforschung 2018

2 Die Drogenbeauftragte 2021. https://www.drogenbeauftragte.de/presse/detail/zahl-der-an-illegalen-drogen-verstorbenen-menschen-waehrend-der-coronapandemie-um-13-prozent-gestiegen/ [12.10.2021]

3 Sordo L et al. BMJ, 2017; 357:j1550

4 European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction. Luxembourg: Publications Office of the European Union 2015

5 Bech AB et al. BMC Health Services Research 2019; 19:440

6 Wodarz-von Essen H et al. Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege 2021

7 Degenhardt L et al. Drug and Alcohol Dependence 2009; 105, 1-2: 9-15

8 Bremer V et al. Robert Koch-Institut 2016

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