Pavel Khaykin, Frankfurt und Ramona Pauli, München
Geflüchtete aus der Ukraine versorgen

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Die Prävalenz von HIV und Hepatitis B und C in der Ukraine ist hoch. Dementsprechend ist zu erwarten, viele Menschen mit diesen Erkrankungen in den Schwerpunkt-Praxen versorgt werden müssen.

Im Allgemeinen ist die Gruppe Geflüchteter sehr heterogen, derzeit sind es jedoch vor allem Kinder und Jugendliche, Frauen und Menschen ab 60 Jahre. Diese haben besondere gesundheitliche Risiken und dementsprechend unterschiedliche Versorgungsbedarfe.

HIV

HIV-Meldung an das RKI

Aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der dortigen vergleichsweise hohen HIV-Prävalenz wird mit einer relevanten Zahl von HIV-Patienten aus der Ukraine gerechnet, für die in Deutschland die weitere medizinische HIV-Versorgung sichergestellt wird. Für sich daraus ergebende HIV-Meldungen von ukrainischen Geflüchteten bittet das Robert Koch-Institut um möglichst vollständige Angaben insbesondere zum Herkunftsland, zum Infektionsland und dazu, ob es sich vermutlich um eine Erst-Diagnose handelt.
Das Bemerkungsfeld auf dem Meldebogen kann gerne für zusätzliche relevante Informationen genutzt werden, die durch das RKI ausgewertet werden. Durch möglichst vollständige Angaben ist es möglich, Meldungen von aus der Ukraine Geflüchteten in den epidemiologischen Analysen entsprechend zu berücksichtigen.


Laut UNAIDS hat die Ukraine mit 41/100.000 im Jahr 2020 eine 13-fach höhere HIV-Inzidenz als Deutschland. Die HIV-Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung liegt bei 0,9-1% und ist bei Risikogruppen wie z.B. Konsumenten von intravenösen Drogen (22,6%), Sexarbeiter:innen (5,2%) und Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten (7,5%) signifikant höher. In den Risikogruppen sind Koinfektionen mit Tuberkulose und Hepatitis B bzw. Hepatitis C häufig.

Die Zahl der HIV-Infizierten wird derzeit auf 250.000 geschätzt (etwa 209.000 Menschen in den Gebieten, die vor der militärischen Invasion der Russischen Föderation am 24. Februar 2022 von der ukrainischen Regierung kontrolliert wurden, d.h. ohne die vorübergehend besetzten Gebiete der Krim, Sewastopol und die vorübergehend nicht kontrollierten Teile von Donezk und Luhansk).

Die HIV-Epidemie ist konzentriert in Schlüsselgruppen unter injizierenden Drogenkonsumenten (IDU) und ihren Partnern, MSM und Sexarbeiter*innen sowie geographisch in den Regionen Dnepropetrovsk, Donetsk, Kirovograd, Luhansk, Nikolaev, Odessa (d.h. im Südosten) und Kiew mit der Oblast Kiew. Etwa 80% der PLHIV leben in Städten.

Die sexuelle Übertragung ist heute mit 61,2% die häufigste in der Ukraine, während die parenterale Übertragung für mehr als 38% der neu registrierten HIV-Infektionen im Jahr 2020 verantwortlich ist. Der Anteil der sexuellen Übertragung ist seit 2007 gestiegen (von 51% der Neuinfektionen im Jahr 2008 auf 73,6% bzw. 61,2% im Jahr 2019 bzw. 2020).

Unter denen, die 2020 neu diagnostiziert wurden: Die Mehrheit sind Männer -62%; Die überwiegende Mehrheit ist in der Altersgruppe der 25- bis 49-Jährigen (82,1%); die 15- bis 24-Jährigen machen 3,9% und die 50-Jährigen und Älteren 13,5% aus. (https://phc.org.ua/kontrol-zakhvoryuvan/vilsnid/monitoring-i-ocinyuvannya/informaciyni-byuleteni-pro-vilsnid). Etwa 40% der HIV-infizierten Menschen in der Ukraine wissen nichts von ihrem HIV-Status und erhalten daher keine medizinische Versorgung.

HIV-Versorgung in der Ukraine

Die Versorgung von HIV-Patienten konnte in den letzten Jahren deutlich verbessert werden. Am 01.02.2022 lebten in der Ukraine 130.724 Menschen mit diagnostizierter HIV-Infektion, 128.015 Erwachsene und 2.709 Kinder. Von den 128.015 Erwachsenen waren 68.432 Männer und 59.583 Frauen. Mehr als 90% der Menschen mit HIV werden erfolgreich antiretroviral behandelt.

Vor der militärischen Invasion der Russischen Föderation gab es in der Ukraine 394 ART-Sites, die von AIDS-Zentren und Zentren für sozial gefährliche Krankheiten, Krankenhäusern für Infektionskrankheiten, Infektionskontrollräumen, „Trust“-Büros in Konsultations- und diagnostischen Distriktzentren, dermatovenerologischen Polikliniken, TB-Zentren usw. betrieben wurden. Die Zahl der nicht funktionsfähigen Einrichtungen nimmt aus objektiven Gründen, die mit militärischen Aktivitäten zusammenhängen, dynamisch zu. Nach den neuesten Daten sind 36 ART-Einrichtungen nicht funktionsfähig (<10%). Während des Krieges waren nicht mehr als 50 ART-Standorte gleichzeitig in Betrieb. Es ist erwähnenswert, dass ART-Sites nicht nur HIV-Patienten mit ART versorgen, sondern auch ein gewisses Maß an HIV-Pflege anbieten.

ART wird in der Ukraine von Ärzten für Infektionskrankheiten, ausgebildeten Allgemeinmedizinern und Kinderärzten (der Ebene der spezialisierten medizinischen Versorgung) angeboten. Derzeit bieten Allgemeinmediziner keine ART an.

ART-Regime in der Ukraine (in %):
DTG-basiert (meisten TLD – TDF/3TC/DTG als FD generisch) 83,24%
EFV-basiert (sowohl STR TDF/FTC/ EFV als auch Einzelsubstanzen mit EFV 600 oder 400 mg/d) 13,27%
LPV/r-basiert 2,40%
ATV/r-basiert 0,60%
RAL-basiert 0,34%
DRV/r-basiert 0,15%

Wenn ein HIV-Patient stabil ist, finden Arztbesuche im Durchschnitt alle 3-6 Monate statt (dabei werden auch Labortests durchgeführt, einschließlich CD4 und VL). Ein HIV-PCR wird 6 Monate nach Beginn der ART und danach alle 6 Monate durchgeführt. Die antiretroviralen Medikamente (ARV) werden nicht in Apotheken, sondern in direkt in ART-Zentren abgegeben, in denen HIV-positive Patienten untergebracht sind. ARV werden in der Regel von einer Krankenschwester oder einem Krankenpfleger bei einem Routinebesuch beim Arzt verschrieben, wobei der Arzt ein schriftliches Rezept ausstellt und einen Eintrag in die Krankenakte des Patienten vornimmt. ARVs werden den Patienten in der Regel für 3-6 Monate ausgegeben. Manchmal handelt es sich um einen Monat, was mit einer besonderen Situation zusammenhängt, z. B. Lieferausfälle.

Begleiterkrankungen (Hypertonus, Diabetes usw.) können von einem Arzt für Infektionskrankheiten behandelt werden, der einen Patienten im Zusammenhang mit HIV sieht, oder von einem Hausarzt, der bei Bedarf enge Spezialisten hinzuzieht. Der Hausarzt weiß in der Regel aber nicht, dass eine HIV-Infektion vorliegt. Theoretisch kann der Hausarzt den Patienten begleiten und sich sowohl um HIV als auch um Komorbiditäten kümmern, aber in der Praxis ist dies nicht der Fall.

EMPFEHLUNG:

  • Ein HIV-Test sollte insbesondere Risikogruppen angeboten werden.
  • Eine bereits laufende ART-Behandlung sollte weitergeführt werden.

Mittlerweile hat auch die WHO ein Dokument zum klinischen Management von HIV bei geflüchteten Ukrainer*innen veröffentlicht sowie zu den Möglichkeiten zum Austausch medizinischer Informationen zur HIV-Infektion mit den ukrainischen Behörden unter dem Link https://www.euro.who.int/en/health-topics/communicable-diseases/hivaids/publications/2022/standardized-protocol-for-clinical-management-and-medical-data-sharing-for-people-living-with-hiv-among-refugees-from-ukraine-2022

Hepatitis B und C

Auch Hepatitis B und C sind stark prävalent. Die HBV-Prävalenz wird auf 0,8-1,5% und die HCV-Prävalenz auf 3-5% in der erwachsenen Bevölkerung geschätzt. Bei Kindern wurde landesweit eine niedrige HBsAg-Prävalenz von 0,2% gemessen.

EMPFEHLUNG:

  • Ein Screening auf Hepatitis B und C sollte insbesondere Risikogruppen angeboten werden.
  • Eine laufende Behandlung sollte fortgesetzt werden.
  • Eine Behandlung der Hepatitis C sollte gemäß den deutschen Leitlinien erfolgen.

Tuberkulose

Mit 73 Fällen pro 100.000 Einwohner (Deutschland: 5/100.000) hat die Ukraine eine der höchsten TB-Prävalenzen in Europa. Betroffen sind vor allem die Altersgruppen zwischen 25-64 Jahren sowie Männer (69%). Besonders hohe Melderaten werden in Gefängnissen beobachtet (laut ECDC über 1.000/100.000). In rund 25-30% der Fälle liegt eine multiresistente Tuberkulose (MDR-TB) mit Resistenz gegen Isoniazid und Rifampicin vor, wobei wiederum 19% dieser Gruppe weitere Resistenzen aufweisen (XDR-TB).

EMPFEHLUNG:

  • Bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist gemäß Infektionsschutzgesetz der Ausschluss einer „ansteckungsfähigen Lungentuberkulose“ obligat. In der Regel ist eine Röntgenaufnahme der Lunge obligat. Ausnahme: Schwangere sowie unter 15Jährige hier ist ein ärztliches Zeugnis vorzulegen, dass „nach sonstigen Befunden eine ansteckungsfähige Lungentuberkulose nicht zu befürchten ist“.
  • Alternativ kommt auch ein IGRA (Interferon-Gamma-Release-Assay) in Frage. Ein positives Testergebnis ist nicht beweisend für eine aktiveTuberkulose. Dieser Test kann auch nach einer BCG-Impfung (die in der Ukraine durchgeführt wurde) oder einem „abgeheilten“ Kontakt positiv ausfallen.

Impfung

Die Corona-Impfquote in der Ukraine liegt bei etwa 30%. Viele Menschen sind mit den in Deutschland nicht anerkannten Vakzinen Sinovac, Sputnik, CoronaVac, Cavilo oder Covain geimpft. MMR-Impfung insbesondere bei Unterbringung in Gemeinschaft wichtig.

EMPFEHLUNG:

  • Kein Dokument - gilt als nicht geimpft. Bei Corona muss eine Grundimmunisierung und Booster erfolgen.
  • Kein Dokument – eine Booster MMR-Impfung. Abstand der Lebendimpfung zur Corona-Impfung 14 Tage.
  • Eine Corona-Impfung mit nicht anerkanntem Impfstoff – neue Grundimmunisierung
  • Zwei oder mehr Corona-Impfungen mit nicht anerkanntem Impfstoff – eine Booster-mRNA-Impfung
  • COVID-19 nach Grundimmunisierung mit nicht anerkanntem Impfstoff – mRNA-Booster frühestens drei Monate nach Infektion

Multiresistente Erreger (MRE)

Aktuelle Daten von hospitalisierten Patient:innen in der Ukraine deuten auf einen relativ hohen Anteil an antimikrobieller Resistenz (AMR) bei invasiven Isolaten, insbesondere bei gramnegativen Bakterien (z.B. VRE – Vancomycin resistente Enterokokken). Es ist möglich, dass insbesondere bei vorbehandelten Patient:innen mit Verletzungen und Wunden, Infektionen bzw. Kolonisationen mit MRE wie z.B. multiresistente A. baumannii oder K. pneumoniae vorkommen.

EMPFEHLUNG:

  • Ein generelles MRE-Screening bei Aufnahme in eine Erstaufnahmeeinrichtung ist nicht angezeigt.
  • Bei Krankenhausaufnahme gelten die entsprechenden Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), die ein risikobasiertes Screening für Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und multiresistente gramnegative Stäbchen (MRGN) empfehlen.
  • Insbesondere bei Verlegungen zwischen Krankenhäusern bzw. Übernahme aus stationären Einrichtungen sowie vorausgegangenen Krankenhausaufenthalten wird ein Screening auf MRE empfohlen. Detaillierte Angaben finden sich in den entsprechenden KRINKO-Empfehlungen.

Substitution in der Ukraine

Schätzungsweise 317.000 Menschen injizieren in der Ukraine Drogen. Davon sind 200.661 Opioidkonsument*innen (63,3% aller Drogengebraucher), 38.674 (12,2%) sind Stimulanzienkonsument*innen und 77.665 (24,5%) konsumieren mehrere Drogen gleichzeitig. Nach internationalen Empfehlungen (WHO, UNAIDS) sollten OST-Programme mindestens 35% der Drogenkonsument*innen abdecken, insbesondere in Ländern mit einer hohen HIV/AIDS-Belastung. In der Ukraine deckt das OST-Programm 5,8% der geschätzten Zahl der Opioidkonsument*innen ab.

Am 01.03.2022 wurden 16.374 Patienten mit OST versorgt, davon 14.230 mit Methadonhydrochlorid (Sublingualtabletten), 145 mit Methadonhydrochlorid (orale Lösung) und 1.999 mit Buprenorphinhydrochlorid (Sublingualtabletten).

OST wird in der Ukraine an OST-Standorten angeboten (1.300 bis 5 OST-Kunden pro Standort). Große OST-Zentren befinden sich in den staatlichen Drogenabgabestellen, Drogenbehandlungszentren, AIDS-Zentren, CDCs,
Tuberkuloseabgabestellen und Zentren für die medizinische Grundversorgung. Insgesamt gab es 233 OST-Kliniken. Vor dem Krieg wurde die OST auch von 17 privaten Kliniken angeboten. Seit Ende 2017 wird das OST-Programm aus dem Staatshaushalt finanziert.

Unter den OST-Patient*innen sind 5.551 PLHIV, 9.027 haben Hepatitis C, 1.348 an Hepatitis B und 1.312 an TB. 5.285 (95,2%) der Patient*innen mit HIV/OST erhalten eine ART.

EMPFEHLUNG:

  • Fortführen der Substitutionstherapie

Kostenübernahme

Die medizinische Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine erfolgt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die zuständigen Ämter der Kommunen stellen dazu Behandlungsscheine aus, mit denen die Menschen Ärzt*innen aufsuchen können. In Notfällen kann die Behandlung auch ohne Behandlungsschein erfolgen. Notwendig ist hierfür ein gemeldeter Aufenthaltsort oder die Unterbringung in einer örtlichen Einrichtung. (Quelle: KBV-Praxisnachrichten, 8.3.2022). In einigen Bundesländern bekommen Geflüchtete bereits die elektronische Gesundheitskarte (Quelle; Stand: 11.3.). Informationen bieten auch die Kassenärztlichen Vereinigungen.

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