MARTIN STÜRMER UND PETER GUTE, FRANKFURT
HIV-Transmission unter der Nachweisgrenze - Und es gibt sie doch…

Die Empfehlungen der Schweizer EKAF berufen sich unter anderem auf das Fehlen eines dokumentierten Falles einer HIV-Transmission unter der Nachweisgrenze. In Frankfurt wurde ein solcher Fall beobachtet und mittlerweile auch publiziert.

Die Anfang des Jahres veröffentlichten Schweizer Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen sind seit ihrem Erscheinen vielfach kontrovers diskutiert worden, sicherlich nicht zu unrecht. Auch wenn diese Empfehlungen in der Sache neue Ansatzmöglichkeiten im Rahmen der Prävention bieten, sind sie jedoch in der Art und Weise, wie sie kommuniziert werden, mit größter Vorsicht zu betrachten. Zu den Kritikpunkten gehören beispielsweise:

  • Der Titel "HIV-infizierte Menschen ohne andere Geschlechtskrankheiten sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös" erweckt den Eindruck, es handele sich um eine allgemein gültige Strategie für alle Betroffenen, die zitierten epidemiologischen Studien sind jedoch bei heterosexuellen Paaren durchgeführt worden.
  • Es wird eine mindestens 6 Monate suppressive HIV-Therapie gefordert, die konsequent eingenommen und vom Arzt kontrolliert wird. Im Rahmen einer erfolgreichen antiretroviralen Therapie wird die Virusmenge im Blut jedoch nur alle drei Monate kontrolliert. Wie sicher ist es, dass es innerhalb dieser drei Monate nicht doch zu einem kurzzeitigen Anstieg kommt?
  • Wie sicher ist es, dass durch jede Medikamentenkombination (es gibt aktuell mehr als 20 zugelassene Einzelsubstanzen in Deutschland) HIV in den Genitalflüssigkeiten nicht vorhanden ist, wenn gleichzeitig im Blut nicht mehr nachweisbar? Eine routinemäßige Messung der Virusmenge im Sperma ist nicht vorgesehen.

Die Kommission beruft sich bei der Kalkulation des Transmissionsrisikos unter anderem auf das Fehlen eines entsprechenden Transmissionsfalls in der Literatur. Mittlerweile gibt es einen solchen Fall. Ende Juli konnten wir einen klinischen Fall veröffentlichen, bei dem es trotz Einhaltung der "Schweizer" Kriterien zur HIV-Transmission gekommen ist (Stürmer et al., Antiviral Therapy 2008, 13[5]:729-732).

EIN JAHR LANG SEX OHNE KONDOM

Es handelt sich um ein initial serodiskordantes homosexuelles Paar, das seit 2000 in einer festen Beziehung lebt. Der Indexpatient wird seit 2000 erfolgreich antiretroviral behandelt, die Viruslast lag/liegt durchgehend unter der Nachweisgrenze. Der initial HIV-negative Partner hatte seinen letzten negativen HIV-Test im Sommer 2002, der erste positive Test war im Sommer 2004. Laut eigenen Angaben hat das Paar seit dem Frühjahr 2003 auf den Gebrauch von Kondomen verzichtet, was das zeitliche Fenster für die Transmission auf rund ein Jahr eingrenzt. Im gesamten Beobachtungszeitraum wurde weder vom Arzt noch von den beiden Partnern eine Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Erregern berichtet. Um die Möglichkeit einer Infektion durch eine dritte Person auszuschließen, wurde eine phylogenetische Untersuchung durchgeführt. Es wurden eine Probe vom Indexpatienten aus dem Jahr 1999 und eine Probe vom neu infizierten Partner unmittelbar nach der Erstdiagnose der Infektion im Sommer 2004 analysiert. Anhand dieser Untersuchung hat bei dem vorliegenden Fall keine dritte Person eine Rolle gespielt.

KOMMENTAR DER SCHWEIZER

In einem parallel zu unserer Publikation veröffentlichten Kommentar haben die Schweizer Kollegen zu diesem Fall Stellung bezogen (Vernazza and Hirschel, Antiviral Therapy 2008, 13[5]:641-642). Sie weisen auf die Notwendigkeit hin, dokumentierte Fälle zu sammeln und zu publizieren und mahnen zu einer sorgfältigeren Dokumentation. Der Hauptkritikpunkt an unserem Fall ist, dass der letzte negative HIV-Test des Partners auf anonymer Basis beim Gesundheitsamt basiert. Ferner wird an der Glaubwürdigkeit der Aussagen gezweifelt, da der ganze Fall schon mehrere Jahre zurück liegt. Trotz dieser berechtigten Kritik weisen wir darauf hin, dass die Aussagen der Patienten reproduzierbar und glaubwürdig sind, und wir daher von dem oben erwähnten Transmissionsfenster zwischen 2003 und 2004 ausgehen.

DOCH BESSER MIT KONDOM

Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass es zu einfach und zu gewagt ist, jedem HIV-Infizierten den Verzicht auf Kondome gemäß dem Titel "HIV-infizierte Menschen ohne andere Geschlechtskrankheiten sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös" zu empfehlen. Im Gegenteil, der publizierte Transmissionsfall und die weiteren oben genannten Kritikpunkte sprechen eher für den Gebrauch von Kondomen im Rahmen der allgemeinen Prävention und dafür, der "Schweizer" Empfehlung nur in ausgewählten Einzelfällen zu folgen.

Ausgabe 3 - 2008 Back

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