Aya Ben Ron – „You will be ok”

* Voyage to Cythera * Assistance

Aya Ben Ron, 1967 in Haifa, Israel geboren, untersucht in verschiedenen künstlerischen Medien wie Video, Installation, Zeichnung, Gedicht und Objekt das Verhältnis zwischen Medizin als institutionalisierter Forschung und dem Kranksein des menschlichen Individuums. So kontrastiert sie z.B. die wissenschaftlich-technische Kontrollierbarkeit, die der moderne Krankenhaus-Apparat suggeriert, mit dem Schicksal und der Sitation des auf sich gestellten Patienten. In einem ihrer Gedichte schreibt sie: „Du wirst gerettet, bis du stirbst.“

„Still under Treatment“

Still aus „Still under Treatment“, 2005Still aus „Still under Treatment“, 2005

Das Video „Still under Treatment“ von 2005 zeigt in einer 5:30 Minuten dauernden Sequenz sieben Patienten verschiedenen Alters und mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund im Operationssaal in dem Moment, in dem sie einschlafen, nachdem sie eine Narkose erhalten haben. Die Einstellung der Kamera zeigt lediglich das Gesicht, dadurch wird das Geschehen ganz auf den Übergang vom Bewusstsein zum Unbewusstsein oder vielmehr zur Bewusstlosigkeit des Patienten gelenkt. Die Natürlichkeit und Intimität des normalen Schlafs, der dem Tag-Nacht-Rhythmus gehorcht, weicht hier einer völligen Künstlichkeit. Die Frage nach der medizinisch-technischen Kontrollierbarkeit der Körperfunktionen überträgt sich auf die des Lebens selbst und in letzter Konsequenz auch des Todes.

Abildung aus „First Aid“,  2003Abildung aus „First Aid“, 2003

„First Aid“

Die Rollenverteilung in Rons Arbeiten ist dabei nicht zwangsläufig auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient oder auf eine von Technik geprägte Umgebung beschränkt – sie zeigt diese Polarität von Hilfe und Leid auch im Alltag auf, so in dem Buch „First Aid“ mit dem Untertitel „Be prepaired to perform first aid measures“.

Es versammelt Anweisungen zur ersten Hilfe aus den verschiedensten Leitfäden und Handbüchern, u.a. der IDF – der israelischen Streitkräfte. Meist wählte sie nur einzelne Sätze, die ohne logischen Zusammenhang aufeinander folgen, und medizinische wie auch psychologische Anweisungen darstellen, aber den Leser (und Betrachter) mit extremen Situationen konfrontieren. Sätze wie „Do not attempt to push any brain matter back into the head.“, „Gently pick up any organs that may be on the ground.“ lassen weniger auf einen Unfall als vielmehr auf eine Kriegssituation schließen. Dass Verletzungen aber nicht nur äußerlich sein müssen, darauf verweist schließlich die Anweisung: „Remember! There is an unfortunate tendency in many people to regard as real only what they can see, such as a wound or bleeding.“ Die Regel „Do not tend to be overly sympathetic.“ gilt sowohl für das Opfer als auch für den Hilfeleistenden, sie ruft ins Bewusstsein, dass auch der Retter mit einer schockierenden Situation konfrontiert werden kann, die er psychisch bewältigen muss.

Diesen Regeln sind illustrative Zeichnungen gegenübergestellt. Der einfachen Sprache der Texte entsprechend sind sie in einem linearen Stil gehalten, reduziert auf klare Konturen. Jedoch liegt über den Personen eine Art Raster, das die Grenzen zwischen den Körpern auflöst und verschiebt. Die Mimik der Personen ist neutral und lässt weder Schmerz noch Schrecken erkennen. So entsteht zum einen der Eindruck einer Zersplitterung und Auflösung der Körper, und zum anderen einer Durchdringung von Retter und Gerettetem – die Grenze zwischen beiden wird als Illusion entlarvt, sie existiert nicht mehr, sei es durch die Wucht und Unmittelbarkeit des auslösenden Ereignisses, sei es durch die Zufälligkeit der Rollenverteilung.

 „Voyage to Kythera“

Videostill, Aya Ben Ron im Einführunsgvideo  zu „Voyage to Kythera“, 2012Videostill, Aya Ben Ron im Einführunsgvideo zu „Voyage to Kythera“, 2012

„Voyage to Kythera“, 2012, Blick in die Aus-stellung

„Voyage to Kythera“, 2012, Blick in die Aus-stellung

In der Reihe „Interventionen“ des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité zeigte Ron 2012 die Ausstellung „Voyage to Kythera“. Dabei integrierte sie Installationen und Objekte in die Sammlung des Museums und nimmt in Filmen und Texten Bezug auf einzelne Räume und Objekte des Inventars.

Der Titel zitiert zum einen Antoine Watteaus Rokoko-Gemälde „Einschiffung nach Kythera“, das eine heitere sommerliche Gesellschaft zeigt, die sich zur Überfahrt zu der Insel bereit macht, auf der dem Mythos nach Aphrodite, die Göttin der Liebe, geboren wurde. Ron überlagert dieses lebensfrohe Bild mit einem zweiten, düsteren, das Baudelaires Gedicht „Eine Reise nach Kythera“ (veröffentlicht 1875) entwirft, welches dem Reisenden ein Zerrbild der vertrauten Symbolik entgegenhält, und eine Insel der Verwesung und des Schreckens offenbart – Baudelaire erkennt dort sein eigenes Leiden und schaut auch seinen Tod.

In einem einführenden Video zur Ausstellung übernimmt Ron die Rolle einer Reiseleiterin auf der Fahrt nach Kythera. Als Krankenschwester gekleidet ist sie wie eine moderne Version Charons – des Fährmanns über den Fluss der Toten in der griechischen Mythologie – die Mittlerin zwischen beiden Welten; das gestickte Herz auf ihrer Tracht vereint konsequenterweise das Symbol des Herzens als lebenswichtiges Organ (altgriechisch „Werkzeug“) mit dem des Mit-Leids (lateinisch „misericordia“). Im Hintergrund ist eine Projektion von Watteaus Gemälde zu sehen, während Ron die Reisenden auf das vorbereitet, was sie dort erwartet. Die auf Watteaus Bild dargestellte Büste der Venus deutet Aya Ben Ron in ihrem Sinne um, sie sagt: „Venus erscheint mit amputierten Armen – sie ist das Symbol der Liebe.“

Still aus „Death Poem“, 2012Still aus „Death Poem“, 2012

„Death Poem“

Zu verschiedenen Präparaten, die aus Virchows eigenhändig zusammengetragener Sammlung stammen, die er selbst „mein liebes Kind“ nannte, schrieb Ron Gedichte oder märchenhaft anmutende Erzählungen, deren Groteskheit eine Parallele zur Monstrosität der Präparate darstellt. Dadurch vermeidet Ron nicht nur jegliche Rührseligkeit, sondern bewahrt auch eine neutrale Haltung. In dem animierten Video „Death Poem“ von 2012 erzählt sie in Reimform die Geschichte eines Mädchens, dessen abnorm vergrößerter Dickdarm als Präparat in der Sammlung des Museum zu sehen ist. Ron entwirft eine phantastische Geschichte, die der physischen Verstopfung des Kindes eine emotionale zur Seite stellt. Dadurch gibt sie dem abstrakten Sammlungsstück neben der medizinischen offiziellen eine zweite, unwissenschaftlich-private Geschichte. Ihr imaginativer Charakter macht letztendlich deutlich, dass alle Historien füreinander fiktiv sind.

„Anatomy Class 1“

Still aus „Anatomy Class 1“, 2011Still aus „Anatomy Class 1“, 2011

Ein weiterer Aspekt in Rons Arbeiten ist der Wandel der kunstgeschichtlichen Darstellung der Medizin: Ein Stahlrelief im Seziersaal der Charité illustriert die moderne Methode der Anatomie: der Tote ist an Haken und Galgen aufgehängt, um ihn herum stehen Ärzte und Studenten und entnehmen seine Organe. Wüsste der Betrachter nicht, dass es sich um einen Toten handelte, so würde sich das Bild einer Folterszene aufdrängen. Umwehte Rembrandts „Anatomie des Dr. Tulp“ noch ein Mysterium, so stellen Rons Protagonisten vollkommene Unbeteiligtheit zur Schau.

Das Ziel von Aya Ben Rons Eingriffen ist weniger eine Versöhnung der Gegensätze als vielmehr eine gezielte Auflösung von Grenzen. Dadurch zeigt sie, dass beide sich letztendlich komplementär verhalten und einander bedingen. So ist auch ihre Ausstellung in Berlin ein bewusster Akt der Grenzüberschreitung, hatte sie doch ihrer Großmutter versprochen, nie deutschen Boden zu betreten. Diese hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Medizin in Wien studiert und später den Holocaust überlebt, später arbeitete sie als Gynäkologin in Haifa.


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