Interview Prof. Johannes Bogner, München
Warnung vor Überinterpretation!

Hat Sie das Ergebnis von START überrascht?


Prof. Johannes Bogner, MüNchen

Prof. Bogner: Das Ergebnis hat eigentlich niemand überrascht. Es gab schon vorher Hinweise aus Kohortenanalysen und anderen Studien, dass ein früher Behandlungsbeginn mit einem besseren Outcome assoziiert ist. Dennoch ist die Studie wichtig, denn sie ist kein Hinweis, sondern ein klarer wissenschaftlicher Beleg für den Nutzen der frühen Therapie.

Die Patienten mit „späterer“ Therapie sollten mit der ART bei einer CD4-Zahl <350/µl anfangen. Die mittlere CD4-Zahl in diesem Arm lag jedoch im Schnitt bei 400 CD4/µl. Wie kommt das?

Prof. Bogner: Indikation für den Therapiebeginn war nicht nur die Helferzellzahl, sondern auch Aids-definierende Ereignisse sowie Ereignisse der CDC-Klasse B, z.B. bei Herpes Zoster, Thrombopenie, Mundsoor usw. Ferner war erlaubt, nach den jeweiligen Leitlinien des Landes oder der Region (z.B. EACS Leitlinie) zu behandeln.

Zu den häufigsten Endpunkten in START gehört die Tuberkulose. Nun ist dies in den Industrieländern ein sehr
seltenes Ereignis. Was bedeutet das für unsere deutschen Patienten?

Prof. Bogner: Die regionalen Unterschiede müssen und werden noch genau analysiert werden. Es ist klar, dass in einem Gebiet mit hoher TB-Prävalenz die frühe Therapie auch vor dieser Erkrankung schützt. Bei europäischen Patienten wird das „herausrechnen“ der TB den Nutzen der frühen Therapie vermutlich etwas schmälern, aber sicherlich nicht aufheben.

Die häufigsten Endpunkte in den Industrieländern waren KHK und Krebs. Heißt das, dass die frühe ART von diesen Erkrankungen schützt?

Prof. Bogner: Momentan läuft eine Auswertung im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse. Diese zeigt, dass Rauchen in beiden Gruppen der wichtigste Risikofaktor war und dass unter ART weniger Ereignisse aufgetreten sind, d.h. ja, die frühe Therapie schützt vor Herzinfarkt.

Wie steht es mit Patienten, die bei über 800 CD4-Zellen/µl und einer Virus-last <5.000 Kopien/ml angefangen haben.

Prof. Bogner: Das ist eine wichtige Frage, aber vermutlich wird hier aufgrund der geringen Fallzahlen und seltenen Ereignissen keine valide Subgruppenanalyse möglich sein.

Auch Patienten mit hoher CD4 Zahl, die sofort behandelt wurden, entwickelten AIDS. Wie ist das zu erklären?

Prof. Bogner: Es gibt ja auch AIDS Manifestationen, die mit guten Helferzellen auftreten. Dazu gehören non Hodgkin Lymphome, Kaposi-Sarkom und Tuberkulose. Und genau diese 3 opportunistischen Manifestationen waren tatsächlich in der START Studie häufig. Interessanterweise trat die Tuberkulose in beiden Behandlungsgruppen auf, man kann also nicht behaupten, dass die antiretrovirale Therapie zuverlässig vor dem Auftreten der Tuberkulose schützt.

Jens Lundgren und Kollegen haben bei der Präsentation für die sofortige Behandlung aller HIV-Infizierten plädiert. Machen Sie das jetzt auch so?

Prof. Bogner: Nein, ich möchte sogar warnen vor einer Überinterpretation der START-Studie. Bei über 97% der Patienten in beiden Armen ist kein Endpunkt bzw. Ereignis aufgetreten. Insbesondere in einem Gesundheitssystem der maximalen Versorgung mit regelmäßigen Kontrollen und der Möglichkeit der sofortigen Behandlung kann man individuelle Einzelentscheidungen vertreten und auch abwarten.

Wann empfehlen Sie denn konkret mit der Therapie zu beginnen?

Prof. Bogner: Bei mehr als 500 Helferzellen erkläre ich den Patienten, dass der natürliche Verlauf der HIV-Infektion individuell unterschiedlich ist. Es gibt Menschen, deren Immunsystem das Virus gut kontrollieren kann und es gibt Menschen, bei denen das Immunsystem relativ schnell zusammenbricht sowie ein breites Spektrum dazwischen. Ich plädiere dafür, zunächst abwartend den Verlauf der CD4-Zellen zu überwachen und dann anzufangen, wenn sich ein zunehmender Abfall der Helferzellen zeigt.

Über die finanziellen Konsequenzen des sofortigen Therapiebeginns bei allen HIV-Positiven wurde nicht gesprochen. Die NNT (number needed to treat), d.h. die Zahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um ein Ereignis zu verhindert, wurde nicht berechnet. Ist das nicht relevant oder gar unethisch? Die Kosten dürften ja sehr hoch sein.

Prof. Bogner: Wenn der Nutzen als wissenschaftlich gesichert gilt, muss sich in unserem Versicherungs-System niemand über die Kosten Gedanken machen.


Ausgabe 3 - 2015Back

DAIG LogoDGI LogoDSTIG LogoPEG Logo

Meldungen

  • Hepatitis E

    31. Juli 2025: Ribavirin-Dosierung bei Transplantierten weiter

  • HIV-Prävention

    31. Juli 2025: Einmalig Antikörper für Neugeborene? weiter

  • HPV

    30. Juli 2025: Beta-HPV kann bei Immunschwäche zu Hautkrebs führen weiter

  • HIV-PrEP

    28. Juli 2025: EMA-Zulassung für Lenacapavir zur PrEP weiter

  • COVID-19

    28. Juli 2025: Zulassungsempfehlung für neue Impfstoffe Comirnaty® und Spikevax® weiter

  • Newletter online

    Jeden Monat akutelle Informationen rund ums Thema HIV und sexuell übertragbare Erkrankungen.

    Für Ärzt_innen, Menschen mit HIV und alle Interessierten.

    Anmeldung hier

  • Antibiotika-Resistenz

    28. Juli 2025: Selbst im abgelegenen Antarktis-Ozean nachgewiesen weiter

  • Lenacapavir PrEP

    23. Juli 2025: Partnerschaft Gilead und Global Fund weiter

  • COVID-19

    23. Juli 2025: Consensus Statement zur Post-COVID Diagnostik bei Lungenveränderungen weiter

  • HTLV-1

    22. Juli 2025: Das Humane T-Zell Leukämie Virus Type 1 (HTLV-1) infiziert ähnlich wie HIV die Helferzellen. weiter

  • BK-Viren

    22. Juli 2025: Neue Strategien gegen Nierentransplantat-Verlust weiter

  • Hepatitis B

    22. Juli 2025: HepB-CpG Impfung schützt bei HIV-Infektion länger als herkömmlicher Impfstoff weiter

  • Hepatitis B

    22. Juli 2025: TherVacB-Projekt startet klinische Studie zur Heilung weiter

  • West-Nil-Virus

    21. Juli 2025: Todesfall in Italien weiter

  • Doxy-Pep/PrEP

    20. Juli 2025: Studie der Charité zu Kenntnissen, Einstellungen und Nutzungsverhalten weiter

  • Tetanus/Diphtherie

    15. Juli 2025: Booster-Impfung für Erwachsene unnötig? weiter

Ältere Meldungen weiter

Diese Website bietet aktuelle Informationen zu HIV/Aids sowie zur HIV/HCV-Koinfektion. Im Mittelpunkt stehen HIV-Test, Symptome und Auswirkungen der HIV-Infektion, Behandlung der HIV-Infektion, HIV-Medikamente mit Nebenwirkungen und Komplikationen, Aids, Hepatitis B und C. Ein Verzeichnis der Ärzte mit Schwerpunkt HIV ergänzt das Angebot.