Croi 2019, 4. - 7. März 2019, Seattle, Washington
Highlights: PrEP und Spritzentherapie

Der Anteil von klinischen ART-Studien auf der diesjährigen CROI lag gefühlt bei weniger als 10%. Die Relevanz für die aktuelle tägliche Praxis war dementsprechend gering. Dennoch war jeder Tag spannend, voll von neuen Anregungen und kontroversen Diskussionen.

Schwerpunkte der CROI in diesem Jahr waren PrEP und sexuell übertragbare Infektionen. In diesem Bereich war sogar noch etwas von der alten Aufbruchstimmung zu spüren, denn hier steht man beim weltweiten Zugang noch am Anfang.

Heilung

Die Nachricht von einem zweiten geheilten HIV-Patienten machte in allen Medien Schlagzeilen. Der „London-Patient“ hatte ein Hodgkin-Lymphom, das auf Chemotherapie nicht ansprach. Er erhielt genau wie Timothy Brown allogenes Knochenmark mit einer CCR5Delta32-Mutation und braucht wohl keine ART mehr (Gupta RK et al., 29LB).

Und es gibt auch noch Versuche, HIV aus dem Körper zu entfernen. Mit der Genschere CRISPR/Cas9 (gebunden an Adenoviren) beispielsweise gelang es bei Rhesusaffen, SIV aus den Zellen in allen bisher untersuchten Kompartimenten (einschließlich ZNS) zu entfernen (Burdo TH et al., 24).

ART-Injectables

Ein Highlight der Tagung waren die Phase-3-Studien ATLAS (Switch) und FLAIR (Firstline) zur dualen Spritzentherapie mit Cabotegravir und Rilpivirin. Nach 48 Wochen lag die Viruslast in allen Gruppen gleichermaßen bei über 92% unter der Nachweisgrenze. Nur sehr wenige Patienten zeigten ein virologisches Versagen. Unter der dualen Therapie entwickelten sich jedoch NNRTI- plus INSTI-Mutationen, während beim Versagen der herkömmlichen Tripletherapie lediglich eine NRTI-RAM nachgewiesen wurde.

Die Ursache für das Versagen der intramuskulären Therapie ist unklar. Die Cabotegravir- und Rilpivirinspiegel waren nicht zu niedrig. Auffallend war, dass 6/7 Patienten mit virologischem Versagen den Subtyp HIV-A1 und die Mutation L41I aufwiesen. Diese Mutation wurde bei der retrospektiven Analyse gefunden, vor Therapiebeginn wurde kein Integrase-Resistenztest durchgeführt. Bisher wird L74I als Polymorphismus ohne klinische Relevanz eingestuft. Ob das so bleibt, werden weitere Untersuchungen zeigen (Swindells S et al., 139; Orkin C et al., 140LB).

PräExpositionsProphylaxe

Abb. 1  DISCOVER: F/TAF vs F/TDF zur PrEP. 96 Wochen-Daten
Abb. 1 DISCOVER: F/TAF vs F/TDF zur PrEP. 96 Wochen-Daten

Bei der PrEP war die Studie DISCOVER das Highlight. Über 5.400 MSM nahmen täglich entweder F/TDF oder F/TAF ein. Der protektive Effekt war vergleichbar. Im Lauf von zwei Jahren wurde in jeder Gruppe nur eine HIV-Infektion unter ausreichenden Medikamenten-Spiegeln beobachtet (Abb. 1). F/TAF hatte einen geringeren Einfluss auf die eGFR (+1,8 vs. -2,3 ml/Min) und die Knochendichte (LWS +0,50 vs. -1,12%). Die Teilnehmer waren mit einem durchschnittlichen BMI von 26 leicht übergewichtig. Sie nahmen unter F/TAF im Schnitt 1,1 kg zu, unter F/TDF blieb das Gewicht unverändert (Hare CB et al., 104LB).

Neue PrEP

TAF reichert sich in Lymphozyten und Lymphknoten an, erreicht aber im Vergleich zu TDF geringere Konzentrationen in Darm- und Vaginalschleimhaut (Fletcher CV et al., 103). Orales TAF wirkte bei weiblichen Affen nur mäßig protektiv (Massud I et al., 102). Eine vaginale Minipille aus TAF und Elvitegravir, die sich bei Bedarf schnell auflöst, schützte dagegen 9/10 der Affenweibchen (Dobard C et al., 101).

Mehr STI

Dass die Patienten in DISCOVER sexuell aktiv waren, belegen die hohen Raten an sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Jeder zweite Studienteilnehmer hatte im Lauf der 96 Wochen mindestens einmal eine STI. Sexuell übertragbare Erreger bei den Routinekontrollen wurden in beiden Gruppen gleich häufig dokumentiert: 30% rektal Chlamydien, rektal und oropharyngeal N. Gonorrhoeae, 10% urethral Chlamydien, 13% Syphilis (Hare CB et al., 104LB).

Auch viele andere Arbeiten auf der CROI zeigten einen deutlichen Anstieg von STI seit Einführung der PrEP. In einer englischen „Sex Clinic“ beispielsweise halbierte sich die HIV-Inzidenz von 2012-2017. Gleichzeitig stieg die Rate von STI: Gonorrhoe +90%, Chlamydien +80% und Syphilis +160% (Ogaz D et al., 48).

In den USA sind STI auch bei Hetero-sexuellen angekommen. 2016 kamen in den USA fast 1.000 Neugeborene mit konnataler Lues zur Welt, die höchste Rate in den letzten 20 Jahren. Betroffen waren vor allem drogenabhängige Frauen, wichtigste Ursache vermutlich „transactional Sex“, also Sex im Tausch für Drogen (Dionne-Odom J et al., 47).

Schwangerschaft und INSTI

In der afrikanischen Tsepamo-Kohorte wurden letztes Jahr vermehrt Neuralrohrschäden bei Kindern von Frauen dokumentiert, die während der Konzeption Dolutegravir eingenommen hatten, was zu einer Änderung der Empfehlungen zum Einsatz dieses INSTI führte. Nun haben mehrere Register/Kohorten ihre Daten im Hinblick auf INSTI analysiert und konnten den Verdacht nicht bestätigen (Albano J et al., 747; Sibiude J et al., 744; Hill A et al., 746). Dennoch ist es für eine Entwarnung zu früh, da es für die statistische Evidenz noch zu wenig Daten sind. Im Lauf des Jahres werden weitere Ergebnisse der Tsepamo-Studie erwartet.

Gewichtszunahme

Auf jeder CROI stehen neue Nebenwirkungen der ART im Fokus. In diesem Jahr war es die Gewichtszunahme unter INSTI. Bei jeder klinischen Studie wurde danach gefragt und es gab eine eigene Session zu diesem Thema. Die meisten der präsentierten retrospektiven Datenanalysen zeigten eine Gewichtszunahme unter INSTI sowohl bei therapienaiven Patienten als auch nach einem Switch. In der amerikanischen Kohorte NA-ACCORD nahmen Patienten unter Integrasehemmern (n=4.740) mehr zu als unter Proteasehemmern oder NNRTI. Der Zuwachs war im ersten Jahr (+5 kg) und unter Dolutegravir am höchsten (Bourgi K et al., 670). (Abb. 2). Warum und wie es zu der Gewichtszunahme kommt, ist unklar. Offen ist auch, welche Rolle der NRTI-Backbone und insbesondere TAF spielt. Hierzu gibt es in den Kohorten noch zu wenig Daten. Einig waren sich die Wissenschaftler dagegen, dass sich die Gewichtszunahme unter Integrasehemmern von der Lipodystrophie unter Proteasehemmern deutlich unterscheidet. Unter Integrasehemmern ist die Verteilung des Körperfettes nicht gestört.

Abb. 2  Kohorte NA-ACCORD.  A. Gewichtsverlauf unter verschiedenen ART-Regimen  B. Gewichtsverlauf unter verschiedenen Integrasehemmern (RAL 1681/35%; EVG 2124 (45%); DTG 935/20%)
Abb. 2 Kohorte NA-ACCORD. A. Gewichtsverlauf unter verschiedenen ART-Regimen B. Gewichtsverlauf unter verschiedenen Integrasehemmern (RAL 1681/35%; EVG 2124 (45%); DTG 935/20%)

Hepatitis C

Klinische Studien zur Therapie der Hepatitis C gibt es kaum noch. Eine spannende Studie gab es aber doch: Ledipasvir/Sofosbuvir in der Schwangerschaft. Neun Schwangere mit Hepatitis C wurden ab der 23/24 SSW 12 Wochen lang behandelt. 8/9 der Frauen erreichten die SVR12, bei einer Schwangeren läuft die Behandlung noch. Die Verträglichkeit war gut, die Neugeborenen gesund. Hintergrund der Bemühungen ist die „Opiat-Krise“ in den USA. Die Zahl von HCV-positiven Schwangeren ist deutlich gestiegen und die perinatale Transmissionsrate liegt bei 6% (Chappell CA et al., 87).

Neue Substanzen am Start

Es gibt sie noch: Neue Substanzen und Substanzklassen gegen HIV. Der neue lang wirksame NRTTI (NRT Translokationsinhibitor) ist in vitro auch gegen einige NRTI-RAMS wie I84V, K65R und K70E wirksam (Grobler JA et al., 481). Der erste Kapsid-Inhibitor GS-6207 muss voraussichtlich nur alle 3 Monate subkutan gespritzt werden (Sager JE et al., 141). Der neue Maturasehinhibitor GSK2838232 wird geboostert und führte in einer Dosisfindungsstudie zu einem Anfall der HIV-RNA um 1,7 log. 2/33 Patienten entwickelten allerdings eine Resistenz (DeJesus E et al., 142). Auch bei den Antikörpern zur Prävention, Therapie und Heilung geht es weiter. Alle sind noch in frühen Phasen der Entwicklung und einige haben Resistenzprobleme.


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