Telemedizin
Geschlechtskrankheiten online diagnostizieren

Bei „Intimarzt.de“ klickt man sich durch ein paar Checkboxen, lädt Bilder hoch, zahlt und erhält per E-Mail die Diagnose. Geht das überhaupt? Ist das ein sinnvoller Service? Eine Hotline für Hypochonder? Ein paramedizinisches Profitcenter? Das Marketingtool einer Universität?

Heute geht alles online. Auch bei der Sprechstunde muss Arzt/Ärztin nicht mehr persönlich anwesend sein. Seit der Deutsche Ärztetag im letzten Jahr das Verbot der Fernbehandlung gelockert hat, boomt das Online-Geschäft auch in der Medizin.

So gibt es jetzt neuerdings auch einen Online-Service zur Ferndiagnostik von sexuell übertragbaren Infektionen. Wer nicht zu einem persönlichen Gespräch in die Praxis kommen will, konsultiert den „Intimarzt“ per App oder online „anonym, schnell und kostengünstig“. Man klickt die vorgeschlagenen Symptome an, lädt drei Fotos hoch und zahlt – 24,95 € für eine Antwort innerhalb der nächsten 48 Stunden bzw. wenn´s schneller gehen soll 34,95 € für eine Antwort innerhalb von 24 Stunden oder 49,95 € für 8 Stunden.

Am anderen Ende der Leitung sitzt ein „deutscher Facharzt für Geschlechtskrankheiten“ mit mindestens 10 Jahren Berufserfahrung. Dieser stellt die Diagnose und gibt Handlungsanweisungen – natürlich kein Rezept, aber beispielsweise Empfehlungen für frei verkäufliche Mittel und/oder schließlich dann doch den Rat, den Schritt zum Arzt zu wagen.

Online-Arzt für geshlechtskrankheiten

Wer steht dahinter?

Bereits auf der Startseite von „Intimarzt“ schaffen die großen Logos der Universitäten Heidelberg und Essen, das Logo des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) und das Bild des Direktors der Dermatologischen Klinik der Universität Heidelberg eine Atmosphäre von Seriosität. Entwickelt wurde der neue Online-Service von (Zitat) „Heidelberger Ärzten und Wissenschaftlern“ und umgesetzt wurde das Projekt vom „lokalen Technologieunternehmen“ Smart Health Heidelberg GmbH. Hinter diesem Unternehmen steht Titus Brinker, Assistenzarzt an der Universitäts-Hautklinik Heidelberg und Leiter der App-Entwicklung am NCT Heidelberg und DKFZ. Die Finanzierung erfolgte aus mehreren Quellen (vordergründig institutionell), die Einnahmen gehen fast vollständig an die beratenden Ärzte, denn die Plattform arbeitet „Patienten- und Forschungsorientiert“. Der „Intimarzt“ ist nicht sein erstes Projekt. Brinker erhielt vor kurzem den Innovationspreisdes Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen(BVDD) für eine ähnliches Online-Projekt.

Wirklich anonym?

Zielgruppe für den Online-Service sind Menschen, die sich schämen und anonym bleiben wollen. Anonym als Kassenleistung, das geht nicht. Anonym im Netz ist allerdings auch kaum möglich. Selbst wenn der Anbieter die Daten nicht personenbezogen abspeichert, Google liest mit und platziert seine Cookies.



Kommentar Dr. Stefan Scholten, Köln

Besser wäre schamfreie Praxis

Dr. Stefan ScholtenDr. Stefan Scholten

Facharzt für Allgemeinmedizin

Infektiologe (DGI)

Köln

Grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass validierte Plattformen angeboten werden um eine steigende Zahl von Geschlechtskrankheiten zu erkennen und einer fach- und sachgerechten Behandlung zuzuführen, so lange Scham ein wesentlicher Faktor ist, der Menschen mit einer angenommenen (oder vorhandenen) Geschlechtskrankheit von Arztbesuchen abhält. Allerdings habe ich bei dem Angebot und dem Auftritt von Intimarzt.de doch noch einige Zweifel, da ein ledigliches Hochladen von Bildern und daraus abgeleitete Beratungen meines Erachtens nicht ausreichend sind, um z.B. eine Chlamydieninfektion, eine Gonorrhoe oder gar eine HIV Infektion zu erkennen oder auszuschließen. Faktisch wird dies aber durch den Auftritt impliziert. Eher halte ich es für geboten, alles daran zu setzen vorhandene Stigmatisierungen abzubauen und somit schamfreie ärztliche Umgebungen in Praxen und Ambulanzen für alle Patienten sicher zu stellen.



Kommentar Harriet Langanke, GSSG: Gemeinnützige Stiftung, Köln

Digitale Kompetenz? Lernziel für Patientinnen und Patienten

Harriet LangankeHarriet Langanke

GSSG:
Gemeinnützige Stiftung

Sexualität und Gesundheit

Köln

Wer hat noch nie nach Symptomen gegoogelt? Gerüchte sagen, dass selbst habilitierte MedizinerInnen gelegentlich checken, welche Antworten im Internet auf Fragen zu Schmerz und Co. schlummern. Gerade, wenn es um Gesundheitsfragen geht, sind Dr. Google und die Youtube-Universität längst Alltag im Leben vieler Menschen.

Da ist der Weg zur Online-Diagnose auch beim STI-Verdacht sehr naheliegend. Ob das aus Scham geschieht oder aus Bequemlichkeit, ob das Fehlen einer Krankenversicherung Schuld ist oder die fehlende Zeit für den Besuch der ärztlichen Praxis – das spielt dabei eigentlich keine große Rolle. Wichtiger ist, dass die Suche nach Hilfe nicht beim vertrauten Kumpel oder bei der besten Freundin und deren Restbeständen an Antibiotika endet. Sondern zum medizinischen Fachpersonal führt. Das darf dann auch gern zeitgemäß über digitale Kanäle laufen.

Wichtig bleibt, dass es in den Weiten des Webs Angebote gibt, die seriös und zuverlässig arbeiten. Allerdings liegt hier auch das eigentliche Problem. Denn wie können wir die Qualität der Online-Angebote einschätzen? Wonach sollten Laien beurteilen, ob sie einem Internet-„Intimarzt“ vertrauen können? Immerhin gibt es gleich zwei zentrale Aspekte, die von außen kaum zu überprüfen sind: Die medizinische Kompetenz. Und die Sicherheit der Daten. Da müssen sich die Hilfesuchenden auf geltende Gesetze und die Versprechen der Anbietenden verlassen – und auf die eigene digitale Kompetenz. Denn bisherige Versuche, vertrauenswürdige Plattformen zu adeln, zum Beispiel mit einem Siegel wie dem HON- oder Health-On-Net-Code, sind nur mäßig erfolgreich. Und wie sorglos manche von uns mit den eigenen Daten umgehen, weiß, wer schon einmal in einem Großraumwagen der Bundesbahn reiste oder mehr als fünf Menschen in den Sozialen Medien folgt.

Dennoch: die digitale Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Zumal sie mit großen Heilsversprechen verbunden ist. Schnellere Diagnosen, bessere Therapien – wer könnte etwas dagegen haben? Doch dafür müssen wir Weichen stellen, die zu möglichst seriösen und zuverlässigen Angeboten führen. Ob das Intimportal aus Heidelberg dazu gehört, werden wohl erst die versprochenen Daten aus der begleitenden, wissenschaftlichen Evaluation des Projekts zeigen. Und vielleicht auch dessen wirtschaftlicher Erfolg. Ob der sich angesichts des kommerziellen und heteronormativen Auftritts einstellt, bleibt abzuwarten.

Harriet Langanke, Fachjournalistin für sexuelle Gesundheit, ist Vorsitzende im Fachausschuss Online des DJV-NRW und Lehrbeauftragte für Online-Journalismus in Köln. Als Sexualwissenschaftlerin forscht sie seit 2002 zur Nutzung des Internets. Sie berät den Vorstand der Deutschen STI-Gesellschaft.



Kommentar Felix Bauerdorf, München

Spannender Impuls

Felix BauerdorfFelix Bauerdorf

Assistenzarzt an der
dermatologischen Klinik der technischen Universität

München

Er hat es wieder getan: Dieses Mal widmet sich Dr. Titus Brinker dem Thema Geschlechtskrankheiten. Nachdem er schon eine Vielzahl an Apps zu verschiedenen medizinischen Themengebieten entwickelte, präsentiert der umtriebige Wissenschaftler nun seinen neusten Wurf Intimarzt. Wie der Name schon verrät, handelt es sich bei Intimarzt um eine App, die Menschen mit Gesundheitsproblemen im Intimbereich mit Ärzten zusammenbringen soll. Ein paar Fotos werden gemacht, einige Fragen beantwortet und schon erhält der oder die Betroffene die Einschätzung eines Arztes als Nachricht auf sein Handy. Das Spannende daran: Das Ganze erfolgt vollständig anonym. Menschen, die aus Scham den Arztbesuch herauszögern, können so Hilfe bekommen, ohne dabei die Hosen runterlassen zu müssen. Nun ja, die Hose runterlassen muss der- oder diejenige auch bei Intimarzt, nur können die notwendigen Fotos in der Abgeschiedenheit der eigenen vier Wände geschossen werden.

Dr. Brinker und sein Team zeigen, dass mittels moderner Technologie Menschen erreicht werden können, die zuvor keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hatten. Sicherlich macht der Einsatz telemedizinischer Apps nicht in jedem Anamnese-Szenario wirklich Sinn, dafür sind die technischen Möglichkeiten (noch) zu begrenzt. Zweifellos können sie aber spannende Impulse rund um das Thema Barrierefreiheit setzen: Denn warum sollten nicht auch Patienten und Ärzte von den Chancen der Digitalisierung profitieren?

Ausgabe 2 - 2019Back

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