August Stich, Würzburg
Reiseimpfungen bei HIV
Generell
gilt: Patienten mit einer neu diagnostizierten, schlecht
eingestellten oder weit fortgeschrittenen HIV-Infektion sollten
besonders vorsichtig sein und keine Reisen in Regionen mit erhöhten
Infektionsrisiken unternehmen. In der Regel wird es im Verlauf einer
Behandlung gelingen, die HIV-Infektion soweit zurückzudrängen, dass
sich das Immunsystem erholt und die Reise zu einem späteren
Zeitpunkt nachgeholt werden kann. Es sollte auf jeden Fall abgewartet
werden, bis die CD4-Lymphozyten auf ein zufriedenstellendes Niveau
angestiegen sind, d.h. >200/µl beim
Erwachsenen bzw. >15 %
bei Kindern über 6 Jahren.
Problem Visum
In manchen Ländern kann der Nachweis einer HIV-Infektion zu einer Verweigerung der Ausstellung eines Visums und damit der Einreise führen. Wie immer man über solche Regularien denken mag: Wir können nicht empfehlen, bei entsprechenden Fragen falsche Angaben zu machen. Auf jeden Fall raten wir aber dazu, antiretrovirale Medikamente oder medizinische Befunde nicht offen zur Schau zu stellen. Es sei auch darauf hingewiesen, dass es leider immer noch Länder gibt, bei denen bestimmte sexuelle Praktiken, so auch der gleichgeschlechtliche Intimverkehr, mit drakonischen Strafen belegt werden. Die entsprechenden und stetig aktualisierten Hinweise des Auswärtigen Amtes sollten vor Buchung und Antritt einer Reise unbedingt zur Kenntnis genommen werden: https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit.
Eine kurze Übersicht (Stand 2016) gibt es auch von der Deutschen AIDS-Hilfe (https://www.aidshilfe.de/rechtliche-aspekte).
Gesundheitliche Risiken
Es muss jedem, den Reisenden wie den beratenden Ärzten, klar sein, dass ein Aufenthalt in Regionen mit schlechterer medizinischer Infrastruktur, geringerem Hygienestandard und dem Vorkommen krankheitsübertragender Vektoren immer mit höheren gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Dies gilt besonders für Reisen in die Tropen und in Entwicklungsländer (was oft deckungsgleich ist). Solche Risiken treffen alle Reisenden, sind aber bei Patienten mit HIV-Infektion in Abhängigkeit vom individuellen Immunstatus nochmals höher zu bewerten. Deshalb sollten die üblichen Empfehlungen zum Erhalt der Gesundheit bei Fernreisen besonders ernst genommen werden: Nahrungsmittel- und Trinkwasserhygiene, Körperpflege, Sonnenschutz, Expositionsprophylaxe vor Stechinsekten, insbesondere Moskitos, ausreichende versicherungsrechtliche Abdeckung. Auch an einen ausreichenden Impfschutz für HIV-negative Kontaktpersonen sollte gedacht werden.
Malaria
In Regionen mit einem erhöhten Malariarisiko, insbesondere im subsaharischen Afrika, sollte zusätzlich zu einem intensiven Mückenschutz eine medikamentöse Malariaprophylaxe eingenommen werden. Die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Globale Gesundheit DTG empfiehlt dafür Atovaquone/Proguanil, Doxycyclin oder in ausgewählten Fällen Mefloquin (https://www.dtg.org/empfehlungen-und-leitlinien/empfehlungen/malaria.html). Bevor diese jedoch eingenommen werden, müssen mögliche Interaktionen mit der vorbestehenden antiretroviralen Kombinationstherapie überprüft werden.
In folgenden Kapitel soll nun lediglich auf die spezifischen Aspekte von Reiseimpfungen bei Erwachsenen mit einer HIV-Infektion eingegangen werden.
Allgemeine Überlegungen
Bei
der reisemedizinischen Beratung von Menschen mit HIV-Infektion steht
der Arzt vor einem Dilemma: Einerseits
bedürfen HIV-positive
Patienten eines besonderen Schutzes bereits bei den
Standardimpfungen. Ein ausreichender Impfschutz gegen Masern, Mumps
und Röteln (MMR), eine jährliche Influenzaimpfung oder der Schutz
vor Pneumokokken ist noch gewissenhafter anzugehen als bei der so
genannten „Normalbevölkerung“. Andererseits können bei diesem
Patientenkollektiv die Risiken von Impfungen größer und ihre
Ansprechraten (Serokonversionsraten) geringer sein. Generell gilt,
dass Lebendimpfungen (z.B. MMR, Gelbfieber) bei Patienten mit
CD4+-Zellen unter 200/µl nicht gegeben werden dürfen.
Totimpfstoffe, und das sind die meisten Impfungen, sind für den
Impfling in allen Stadien der HIV-Infektion, also auch bei schlechtem
Immunstatus, nicht gefährlicher, doch ist der Impferfolg unsicher.
Deshalb sollten Kombinationsimpfstoffe wegen ihrer generell
geringeren Immunogenität vermieden werden. Bei entsprechender
Indikation wird zu einer quantitativen Antikörperbestimmung
(„Titerkontrollen“) 4 bis 8 Wochen nach einer Impfung und ggf. zu
Nachimpfungen geraten. Somit unterscheiden sich die Impfschemata bei
HIV-Positiven mitunter von den allgemeinen Empfehlungen der STIKO und
der jeweiligen Fachinformationen (off-label use), was wiederum eine
erweiterte Aufklärungs- und Dokumentationspflicht für den Arzt nach
sich zieht.
Spezifische Reiseimpfungen
Cholera
Die moderne Cholera-Impfung (inaktivierter WC/rBS-Impfstoff) ist eine orale Totimpfung und kann bedenkenlos gegeben werden. Cholera selbst ist bei der Berücksichtigung basishygienischer Maßnahmen keine Gefahr für europäische Touristen; sie ist eine Krankheit der Armut und bedroht allenfalls Angehörige von Hilfsorganisationen (aktuell Jemen, Madagaskar) oder Migranten auf Heimatbesuch. Die Impfung, gegeben in zwei Dosen im Abstand von 1-6 Wochen, induziert aber zusätzlich eine gewisse Kreuzimmunität gegenüber ETEC-Bakterien, den wichtigsten Erregern der Reisediarrhö, und hat deshalb bei Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr einen Platz.
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FSME
Für Bewohner Süddeutschlands bereits im bekannten Repertoire ist die FSME-Impfung eine dringende Empfehlung für Reisen in osteuropäische (z.B. Baltikum) und zentralasiatische Regionen. Je weiter man nach Osten kommt, umso gefährlicher werden die dort heimischen Virusstämme. Das Impfschema für HIV-Positive weicht nicht von den allgemeinen Empfehlungen ab, allerdings sind Titerkontrollen bei anhaltendem Risiko zu empfehlen.
Gelbfieber
Gelbfieber ist eine sehr gefährliche, von Moskitos übertragene Virusinfektion, die sich in den letzten Jahren wieder deutlich ausgebreitet hat (aktuell: Brasilien, Kongo, Nigeria). Viele Länder verlangen für das Erteilen eines Visums bei der Einreise einen gültigen Impfnachweis. Die Impfung selbst ist hoch effektiv, erfolgt aber als Lebendimpfung mit vermehrungsfähigen attenuierten Viren. Sie ist gefährlich bei Patienten mit jeglicher Art der Immunschwäche und bei CD4+-Zahlen unter 200/µl absolut kontraindiziert. In solchen Fällen kann eine Ausnahmebescheinigung (Exemption Certificate) ausgestellt werden, die keine rechtliche Bindung hat, aber erfahrungsgemäß von den Behörden des Reiselandes akzeptiert wird.
Seit zwei Jahren erkennen die WHO und auch die meisten Länder die lebenslange Gültigkeit einer lege artis verabreichten Gelbfieberimpfung an. Bei allen HIV-Positiven wird aber aufgrund einer mutmaßlich verminderten Immunantwort weiterhin eine Auffrischungsimpfung alle 10 Jahre empfohlen.
Hepatitis A
Unabhängig vom Reiseverhalten sollte die Indikation für eine Hepatitis A sehr breit gestellt werden, insbesondere bei MSM. Im Gegensatz zu HIV-Negativen wird bei Patienten mit CD4+-Zellen <350/µl zu einer dreimaligen Impfung mit einem monovalenten Hepatitis A-Impfstoff in den Abständen 0-1-6 Monate geraten. Der Kombinationsimpfstoff mit Hepatitis B, gegen die sowieso unabhängig vom Reiseverhalten unbedingt ein Impfschutz aufgebaut werden sollte, ist bei schlechtem Immunstatus zu vermeiden. Ob der Impferfolg anhaltend ist, sollte nach 5 Jahren mit einer Antikörperbestimmung ermittelt und ggf. mit einer nochmaligen Booster-Impfung aufgefrischt werden.
Japanische Enzephalitis
Die Japanische Enzephalitis ist eine bei Touristen seltene, bei der ländlichen Bevölkerung in den endemischen Regionen aber durchaus häufige und dann sehr gefährliche Erkrankung. Erfahrungen bei HIV-Positiven liegen praktisch nicht vor. Eine Indikation für eine Impfung besteht bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in ländlichen Regionen Südostasiens. Das inzwischen auch in Deutschland zugelassene Kurzimpfschema (0-7 Tage) sollte wegen seiner geringeren Immunogenität bei HIV-Patienten nicht angewandt und stattdessen die etablierten Impfabstände von 0 und 28 Tagen mit einer Auffrischungsimpfung nach 12-24 Monaten gewählt werden.
Meningokokken-Meningitis
Vor dem Hintergrund der latenten oder manifesten Immunschwäche bei HIV-Positiven, Berichten einer zusätzlichen sexuellen Übertragbarkeit von Meningokokken und den Hinweisen einer gewissen Kreuzprotektion gegenüber Gonokokken sollte die Indikation für eine Impfung gegen invasive Meningokokken-Erkrankungen breit gestellt werden. Konkret bedeutet dies eine einmalige Impfung eines Konjugatimpfstoffes gegen die Serogruppen ACWY (bei CD4+-Zellen <200/µl zweimal im Abstand von 8 Wochen) und eine zweimalige Impfung gegen die Serogruppe B. Boosterimpfungen sind je nach Immunstatus und Risikoeinschätzung nach fünf Jahren zu erwägen.
Poliomyelitis
Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren die weltweite Ausrottung der Kinderlähmung gelingt. Die letzten Herde einer Wildvirusübertragung liegen in der schwer zugänglichen Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan sowie im Norden Nigerias. Allerdings wird in vielen Ländern der Erde noch mit dem oralen Lebendimpfstoff geimpft, der fäkal ausgeschieden wird und deshalb immer wieder die Quelle von Ausbrüchen einer Vakzine-assoziierten polioähnlichen Erkrankung sein kann. Deshalb wird auch gerade HIV-positiven Reisenden ein ausreichender Polioschutz angeraten, der alle 10 Jahre aufgefrischt werden soll.
Tollwut
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Auch wenn eine Tollwuterkrankung bei deutschen Reisenden im letzten Jahrzehnt nicht mehr vorgekommen ist (kürzlich der tödliche Fall einer Norwegerin nach Südostasienreise), gehören Bisse durch Säugetiere (Hunde, Katzen, Affen, Fledermäuse u.a.) zu häufigen Ereignissen bei Fernreisen. Auch Bagatellverletzungen stellen ein potentielles Risiko einer Infektion dar. Da Tollwut ab dem Beginn der Symptome zum sicheren Tod führt, lösen Bissverletzungen, fälschlicherweise sogar oft schon flüchtige Tierkontakte, bei den Opfern große Verunsicherung bis hin zu Panikreaktionen aus. Deshalb wird in Deutschland die Indikation für eine präexpositionelle Tollwutimpfung zunehmend breiter gestellt, was in der Vergangenheit mehrfach zu einer Verknappung der vorhandenen Impfstoffe geführt hat.
Seit 2018 haben die WHO und verschiedene Fachgesellschaften einschließlich der DTG ihre Empfehlungen für ein präexpositionelles Impfschema von drei auf zwei Dosen reduziert. Bei HIV-Positiven sollte aber beim ursprünglichen Schema von 0-7-21 Tagen verblieben werden. In jedem Fall ist nach einer Bissverletzung durch ein tollwutverdächtiges Tier immer noch eine postexpositionelle Boosterung an den Tagen 0 und 3 erforderlich, unabhängig davon, wie lange die Grundimmunisierung zurückliegt.
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Typhus
Impfungen gegen Typhus sind nicht besonders effektiv. Die orale Lebendimpfung gegen Typhus sollte bei HIV-Patienten überhaupt nicht gegeben werden. Die parenterale Impfung (Vi-Polysaccharidvakzine) kann als zusätzliche Ergänzung in einem Impfplan angeboten werden, schmälert aber nicht die Notwendigkeit einer gewissenhaften Nahrungsmittel- und Trinkwasserhygiene.
Fazit
Reisen in die Tropen sind für HIV-positive Menschen nicht versperrt. Doch sollten die vermehrten Gesundheitsgefahren, insbesondere von fäkal-oral- und vektorübertragenen Infektionskrankheiten nicht verschwiegen werden. Eine intensive reisemedizinische Beratung und umfangreiche Vorsorgemaßnahmen sind erforderlich. Dazu gehören Impfungen, die aufgrund der bestehenden eingeschränkten Immunkompetenz der Patienten mit Bedacht auszuwählen sind und oft abweichend von den etablierten Schemata verabreicht werden. Wie überall liegt auch hier der Erfolg der Maßnahmen in einer engen Kommunikation und Zusammenarbeit aller Beteiligten, im konkreten Fall den betroffenen Reisenden, den Reisemedizinern und den HIV-Behandlern.