Gerd Fätkenheuer, Köln
Therapie mit Antibiotika – wie lange?

Wie lange sollen Antibiotika gegeben werden? Hier hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen. Das neue Motto lautet „so kurz wie möglich“.

Lange Zeit herrschte die Lehrmeinung vor, dass man nur in eine Richtung einen Fehler machen könne, nämlich Antibiotika zu kurz zu geben. Die Hypothese dahinter war, dass bei zu kurzer Therapiedauer Bakterien überleben, die dann bei einer nächsten Therapie leichter Resistenzen entwickeln können. Evidenz dafür gab es nicht. Ältere Studien haben Antibiotika fast immer über längere Zeiträume geprüft, so dass an dem Prinzip „möglichst lange behandeln“ nicht gerüttelt wurde.

Kollateralschaden Resistenz

Wie entstehen Resistenzen? Sie kommen in jeder beliebigen Variation in der Natur vor und sind damit nicht zu verhindern. Man kann sogar nachweisen, dass Resistenzen gegen Antibiotika bereits in der Natur vorhanden waren, bevor die entsprechenden Substanzen gefunden und klinisch eingesetzt wurden. Zum Beispiel wurden Isolate von Methicillin resistentem Staphylococcus aureus (MRSA) in den 1940er Jahren gefunden, mehr als 10 Jahre bevor mit Methicillin das erste wirksame Antibiotikum gegen MRSA entwickelt wurde (Harkins 2017). Wichtig ist auch zu verstehen, dass Resistenz in der Regel nicht bei den Bakterien entsteht, gegen die eine bestimmte Therapie
gerichtet ist. So kommt es unter einer Therapie mit Oxacillin gegen Methicillin suszeptiblen Staphylococcus aureus (MSSA) praktisch nie zu einem Auftreten einer MRSA Infektion. Und die Therapie einer Pneumokokken Pneumonie mit Amoxicillin führt beim behandelten Patienten nie zu einer Resistenzentwicklung der Pneumokokken. Aber Escherichia coli oder andere gramnegative Bewohner des Darmes können unter der Therapie resistent werden gegen Amoxicillin. Es ist also der Kollateraleffekt der Antibiotikatherapie, der das Problem bereitet (Lewelyn 2017).

Gezielter Einsatz

Es gibt zahllose Studien, die gezeigt haben, dass das Risiko für Resistenzbildung direkt mit dem Gebrauch von Antibiotika assoziiert ist. Wird ein Antibiotikum in einer Population sehr häufig benutzt, dann steigt die Resistenzrate an. Natürlich gilt das nicht für alle Erreger und für alle Antibiotika in gleichem Maße. Besonders klar belegt ist dieser Effekt für Fluorochinolone und für Makrolidantibiotika. Die Begrenzung bzw. die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Bevölkerung ist also eine der effektivsten Maßnahmen, um die Ausbreitung resistenter Bakterien zu verhindern. Und niedergelassene Ärzte können hier einen besonderen Beitrag leisten, da in Deutschland ca. 85% aller Antibiotika in der ambulanten Medizin verschrieben werden. Die Verminderung des Antibiotikagebrauchs kann im Wesentlichen auf zwei Wegen erfolgen: durch den Verzicht auf den (unnötigen) Einsatz und durch die Verkürzung der Anwendungsdauer. Verzichtet werden sollte auf Antibiotika immer dann, wenn keine bakterielle Infektion vorliegt und Antibiotika damit keinen Nutzen haben, also zum Beispiel bei der akuten Bronchitis, die fast immer viral bedingt ist.

Kurze Therapiedauer


Kontroll­gruppe n=; (%) Interven­tions­gruppe n=; (%) p-Wert
Heilung Tag 10 71 (48,6)90 (56,3)0,18
Heilung Tag 30 132 (88,6) 47 (91,9)0,33
Tage mit Antibiotika
Median (IQR)
10 (10-11)5 (5-6,5)<0,001

Tab. 1  Antibiotika Therapie bei Pneumonie Ergebnisse einer randomisierten Studie (inten-tion-to treat Auswertung) (Uranga 2016)


Erkrankung Behandlungsdauer (Tage)
kurz lang
Ambulant erworbene Pneumonie3-57-10
Nosokomiale Pneumonie≤810-15
Pyelonephritis5-710-14
Intraabdominelle Infektionen 410
Akute Exarzerbation bei COPD≤5≥7
Akute Sinusitis510
Haut-, Weichgewebeinfektionen5-610
Chronische Osteomyelitis4284

Tab. 2 Kürzere versus längere Dauer der Antibiotikatherapien, Äquivalenz in klinischen Studien dokumentiert (Spellberg 2016)

Und vielfach kann auch kürzer behandelt werden. In den letzten Jahren sind mehrere Studien erschienen, die zeigen dass für bestimmte Krankheitsentitäten eine deutlich kürzere Antibiotikatherapie möglich ist als bisher üblich, ohne, dass hierdurch die Behandlungsergebnisse schlechter werden oder dass vermehrt Resistenzen auftreten. Beispielsweise wurde für die ambulant erworbene Pneumonie in der Vergangenheit eine Therapiedauer von 10 bis 14 Tagen als notwendig angesehen. Eine aktuelle randomisierte Studie aus Spanien hat zwei Therapiestrategien miteinander verglichen: die Gabe von Antibiotika für mindestens 5 Tage und dann Absetzen, wenn die Patienten fieberfrei waren und klinisch angesprochen hatten (Interventionsgruppe); sowie die Gabe von Antibiotika über eine Dauer nach Ermessen des behandelnden Arztes (Kontrollgruppe). Es zeigte sich kein Unterschied in der Heilungsrate nach 10 bzw. nach 30 Tagen in beiden Gruppen. Allerdings wurden in der Interventionsgruppe im Median 5 Tage lang, in der Kontrollgruppe 10 Tage lang Antibiotika gegeben (Tab. 1) (Uranga 2016).


Ähnliche Ergebnisse haben Studien bei anderen häufigen Infektionskrankheiten gezeigt (Tab. 2). So wird eine Pyelonephritis mit 5-7 Tagen nur etwa halb so lange behandelt, wie das noch vor wenigen Jahren galt. Ganz besonders stark wirkt sich die Verkürzung der Therapiedauer bei der Osteomyelitis bzw. der Spondylodiscitis aus. Hier galt bis vor kurzem noch eine Therapiedauer von 12 Wochen als Standard, bis eine randomisierte Studie gezeigt hat, dass mit 6 Wochen dieselben Heilungsraten zu erzielen sind (Bernard 2014).

Strategie des BMG gegen resistente Erreger
10-Punkte-Plan zur Vermeidung behandlungsassoziierter
Infektionen und Antibiotika-Resistenzen

Bundesministrerium für GesundheitIn Deutschland treten jährlich zwischen 400.000 bis 600.000 behandlungsassoziierte Infektionen auf. Diese können im Zusammenhang mit einer stationären oder ambulanten Behandlung stehen. Ein Drittel dieser Infektionen ist durch geeignete Maßnahmen vermeidbar. Durch eine enge Zusammenarbeit von Bund und Ländern, aber auch von Krankenhäusern und ihren Trägern muss dieser hohen Zahl von Infektionen mit jährlich 10.000 bis 15.000 Todesfällen entgegengewirkt werden.

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren sowohl die bestehenden Gesetze und Instrumente ausgebaut, als auch neue Maßnahmen und Angebote entwickelt, um die Entstehung von behandlungsassoziierten Infektionen und Antibiotika-Resistenzen zu verringern, doch sind die bisherigen Erfolge noch nicht zufriedenstellend. Mit der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART), wurden wichtige Schritte zur Eindämmung von behandlungsassoziierten Infektionen und Antibiotika-Resistenzen im human- und veterinärmedizinischen Bereich eingeleitet. DART 2020 wurde im Mai 2015 vom Bundeskabinett verabschiedet und bündelt Maßnahmen, die zur Reduzierung von Antibiotika-Resistenzen erforderlich sind. Dabei steht die sektor-übergreifende Zusammenarbeit (One-Health-Ansatz) im Vordergrund. Auch die Themen Hygiene, Qualitätssicherung und Transparenz werden im Bereich behandlungsassoziierte Infektionen noch immer nicht mit der nötigen Priorität angegangen. Darüber dürfen auch erste Erfolge, wie der Rückgang der MRSA-Infektionen, nicht hinweg täuschen. Der 10-Punkte-Plan dient deshalb dazu, die Anstrengungen auf allen Ebenen sowohl national als auch international weiter zu verstärken.

10-Punkte-Plan

1. Ausbreitung multiresistenter Erreger verhindern

2. Hygienestandards in allen Einrichtungen weiter ausbauen

3. Bessere Informationen zur Hygienequalität in Krankenhäusern

4. Meldepflichten zur Früherkennung resistenter Erreger verschärfen

5. Verpflichtende Fortbildung des medizinischen Personals

6. Versorgungsforschung zur Vermeidung nosokomialer Infektionen verbessern

7. „One-Health“-Gedanken stärken: Aktualisierung der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie

8. Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika ermöglichen (Pharmadialog)

9. Deutsche globale Gesundheitspolitik zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen nutzen

10. Antibiotika-Resistenzen durch Kooperation der G7 bekämpfen

Auszüge aus https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/antibiotika-resistenzen/antibiotika-resistenzstrategie.html

10-Punkte_Antibiotika-Resistenzen.pdf

Individuelle Anpassung

Die Empfehlungen zur Therapiedauer, wie sie in Tabelle aufgeführt sind, können natürlich nur als allgemeine Orientierung dienen. Grundsätzlich sollte die Behandlung immer nach dem Therapieansprechen beim einzelnen Patienten ausgerichtet werden. Man ist aber praktisch immer auf der sicheren Seite mit einer kurzen Therapiedauer, wenn sich die klinischen Symptome der jeweiligen Erkrankung innerhalb der vorgesehenen Behandlungsdauer zurückgebildet haben. Laborparameter wie C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin (PCT) können zusätzliche Hinweise über den Therapieverlauf geben, sollten aber nicht überschätzt werden. Insbesondere für das Procalcitonin ist in klinischen Studien gut nachgewiesen, dass es zur Steuerung der Antibiotikatherapie benutzt werden kann. Für unterschiedliche Erkrankungen wurde gezeigt, dass bei Absinken eines bei Beginn erhöhten PCT auf einen Grenzwert von (in der Regel 0,5µg/l) die Therapie mit Antibiotika gestoppt werden kann. Im Vergleich zur Behandlung ohne PCT- Steuerung lässt sich hiermit eine deutliche Therapieverkürzung erzielen.

Cave Sepsis

Allerdings gibt es auch Infektionskrankheiten, bei denen lange Behandlungszeiten notwendig sind und die häufig zu kurz behandelt werden. Das klassische Beispiel dafür ist die Blutstrominfektion mit Staphylococcus aureus, eine der häufigsten schweren Infektionen überhaupt. Hier dürfen die Antibiotika nicht nach 5 oder 7 Tagen abgesetzt werden, auch wenn der Patient fieberfrei und das PCT normalisiert ist. Eine Behandlungsdauer von 2 Wochen mit hoch dosierten intravenös verabreichten ß-Lactamantibiotika ist hier Minimum. Bei komplizierten Infektionen muss über 4 Wochen behandelt werden. Eine zu kurze Behandlungsdauer führt hier häufig zu Rezidiven und zu bakteriellen Absiedlungen in unterschiedliche Organe, z.B. einer Endokarditis. Deshalb ist bei dieser Erkrankung immer auch eine infektiologische Beratung indiziert, um die genaue Therapiedauer festzulegen. Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass die Einbeziehung von Infektiologen bei der Blutstrominfektion mit Staphylococcus aureus sogar das Überleben der Patienten verbessert (Rieg 2016) (Abb. 1).

Abb. 1 Überleben bei
      Staphylococcus aureus Blutstrominfektionen (modifiziert nach Rieg 2016)
Abb. 1 Überleben bei Staphylococcus aureus Blutstrominfektionen (modifiziert nach Rieg 2016)


Entscheidend ist Klinik

Welche Konsequenz hat das alles für die klinische Praxis? In der Vergangenheit führte die Umsetzung des Prinzips „lange behandeln“ dazu, dass Patienten angehalten wurden, eine Packung verschriebener Antibiotika auf jeden Fall zu Ende zu nehmen. Nicht berücksichtigt wurde hierbei, dass ein Antibiotikum ja in der Regel für unterschiedliche Erkrankungen eingesetzt werden kann und dass die Zahl der Tabletten in einer Packung meistens nichts mit der individuell für eine Erkrankung notwendigen Therapiedauer zu tun hat. Das neue Paradigma „so kurz wie möglich“ verpflichtet den Arzt dazu, genaue Anweisungen über die Dauer der Therapie zu geben. Diese richtet sich nach der klinischen Diagnose sowie nach

dem Verlauf unter der Behandlung. Ein Patient mit Pyelonephritis beispielsweise sollte also nicht mehr angewiesen werden, die verschriebene Packung von 20 Tabletten Ciprofloxacin (zweimal eine Tablette pro Tag) vollständig aufzubrauchen. Die Anweisung könnte vielmehr lauten, das Medikament für 5 Tage einzunehmen und dann abzubrechen, sofern die Symptome sich rasch bessern. Wenn die Beschwerden länger anhalten, dann sollte noch einmal eine Vorstellung erfolgen und die Therapiedauer erneut festgelegt werden. Der Preis dafür ist ein Mehr an Beratung von Seiten des Arztes im Vergleich zur einfachen Anweisung „Packung aufbrauchen“. Der Lohn ist ein aktiver Beitrag zur Bekämpfung von Resistenzbildung sowie zur Verminderung von Nebenwirkungen für den Patienten.


Bernard L, Dinh A, Ghout I, Simo D, Zeller V, Issartel B, Le Moing V, Belmatoug N, Lesprit P, Bru JP, Therby A, Bouhour D, Dénes E, Debard A, Chirouze C, Fèvre K, Dupon M, Aegerter P, Mulleman D; Duration of Treatment for Spondylodiscitis (DTS) study group. Antibiotic treatment for 6 weeks versus 12 weeks in patients with pyogenic vertebral osteomyelitis: an open-label, non-inferiority, randomised, controlled trial. Lancet. 2015; 385:875-82

CP Harkins et al. Genome Biology 2017; 18:130

Llewelyn MJ, Fitzpatrick JM, Darwin E, SarahTonkin C, Gorton C, Paul J, et al. The antibiotic course has had its day. BMJ 2017; 358:j3418

Rieg S, Küpper MF. Infectious diseases consultations can make the difference: a brief review and a plea for more infectious diseases specialists in Germany. Infection. 2016;44(2):159-66

Spellberg B. The New Antibiotic Mantra-“Shorter Is Better“. JAMA Intern Med. 2016; 176(9):1254-5

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