Georg Härter, Ulm
HIV und COVID-19 – Aktueller Stand

Zum Verlauf von COVID-19 bei HIV-Infektion gibt es weltweit bislang nur sehr wenig Daten. Eine neue Fallserie aus Deutschland zeigt keine relevant erhöhte Mortalität.

Im Dezember 2019 fiel in der Großstadt Wuhan in China eine Häufung von Pneumonien unbekannter Ursache auf. Als Ursache wurde ein Coronavirus identifiziert (Zhu N, 2020). Inzwischen ist das Virus in severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) und die Erkrankung als COVID-19 benannt worden (Lu 2020, Zhu N, 2020). Die WHO hat die SARS-CoV-2 Infektion als weltweite Pandemie eingestuft und nach aktuellem Stand (19.05.2020) sind weltweit 4 696 849 Infizierte und 315 131 Todesfälle in 216 Ländern gemeldet (WHO 2020).

Bislang sind die Daten zu COVID-19 Infektionen in Hochprävalenzländern für HIV (z.B. Afrika) nur dürftig (WHO 2020). Mit steigenden Infektionszahlen ist jedoch zu befürchten, dass die SARS-CoV-2-Infektionen auch bei HIV-Infizierten deutlich ansteigen werden. Insbesondere in Ländern mit fragilen Gesundheitssystemen und nur unzureichender medizinischer Grundversorgung muss auch mit schweren Verläufen und zahlreichen Todesfällen bei HIV-Infizierten gerechnet werden.

Bisherige Daten

Risikofaktoren für einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-19 Infektion sind in größeren Fallserien bislang v.a. höheres Alter, männliches Geschlecht, Adipositas und vorliegende Grunderkrankungen, dabei v.a. ein D. mellitus und eine arterielle Hypertonie sowie COPD oder chronische Nierenerkrankungen und eine maligne Erkrankung in der Vorgeschichte (Richardson 2020; Grasselli 2020; Liang 2020).

HIV-Infizierte haben inzwischen eine normale Lebenserwartung. Daher erreichen HIV-Patienten häufiger ein hohes Lebensalter. Viele HIV-Patienten, insbesondere bei längerer Infektionsdauer, haben zu einem statistisch signifikant höherem Prozentsatz Komorbiditäten wie chronische Nierenerkrankungen, COPD oder Diabetes mellitus (Gueraldi 2018). Dies bedingt möglicherweise ein erhöhtes Risiko für einen schwereren Verlauf einer COVID-19 Infektion.

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Für Coronaviren, u.a. severe acute respiratory syndrome (SARS)-CoV und SARS-CoV-2, konnte gezeigt werden, dass es zu einer vorübergehenden Immundysfunktion mit einem Abfall der absoluten CD4-Zellzahl kommt (Chen 2020, He 2005, Quin 2020). Ob diese passagere Immunsuppression für HIV-Infizierte relevant ist, ist derzeit allerdings noch unklar.

Bisherige Studienergebnisse zu anderen respiratorischen Viren (z.B. pandemische Influenza) zeigen, dass HIV-Infizierte unter antiretroviraler Therapie keine erhöhte Morbidität und Mortalität aufweisen (Peters 2011, Lynfield 2014).

Bislang gibt es keine sicheren Hinweise, dass bei HIV-Infizierten eine Infektion mit SARS-CoV-2 bzw. eine Erkrankung daran (COVID-19) schwerwiegender verläuft als bei Nicht-Infizierten. Dies wird zumindest unter der Voraussetzung einer unter antiretroviraler Therapie gut kontrollierter HIV-Infektion mit supprimierter HIV-RNA und gutem Immunstatus von den verschiedenen Fach-gesellschaften angenommen (Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen AIDS-Gesellschaft, der Europäischen AIDS Gesellschaft (EACS), der BHIVA, GESIDA & Polish Scientific AIDS Society; Stellungnahme der US-Amerikanischen Gesundheitsbehörde (DHHS)).

In einer großen Kohortenstudie aus Großbritannien waren 1% der Patienten mit Komorbiditäten von 16.749 hospitalisierten COVID-19 Patienten HIV-positiv (Docherty 2020). Einzelheiten zu den klinischen Verläufen bei HIV-Infizierten sind hieraus aber nicht ersichtlich. Neben Einzelfallberichten (Wu 2020, Zhu F 2020, Louisa 2020) existieren in der Literatur bisher fünf „größere“ Fallserien. Aus Spanien ein Bericht mit fünf Patienten (Blanco 2020), aus China mit 8 Fällen mit bestätigter HIV und COVID-19-Infektion (Guo 2020), aus Deutschland mit 33 Fällen (Härter 2020), aus Italien (Gervasoni 2020) mit 47 Patienten (davon 28 bestätigt) und aus den USA mit 21 Fällen (Karmen-Tuohy 2020). Die drei letztgenannten Studien werden im Folgenden etwas näher beleuchtet.

Klinische Symptomatik

Die in Deutschland am häufigsten genannten Symptome bei COVID-19 Infektionen in der Allgemeinbevölkerung waren Husten (49%), Fieber (41%) und Schnupfen (21%) (RKI 2020). In der Fallserie aus Deutschland (Härter 2020) waren die genannten Symptome vergleichbar: Husten bei 78%, Fieber bei 69%, Arthralgien/Myalgien sowie Kopfschmerzen und pharyngitische Beschwerden bei jeweils 22%. Sinusitis und Geruchs- bzw. Geschmacksstörungen konnten bei jeweils 19% beobachtet werden. In der Studie aus Italien waren Fieber (87%), Husten (49%) und Dyspnoe (21%) die meistgenannten Symptome (Gervasoni 2020). Zusammenfassend waren die Symptome vergleichbar mit größeren Kohorten (RKI, 2020; Zhou F 2020).

Auffallend war das etwas jüngere Alter der HIV-Infizierten im Vergleich zu größeren Kohorten: in der deutschen Fallserie war das mittlere Alter 48 Jahre (Härter 2020) und in Italien 51 Jahre (Gervasoni 2020), wohingegen in einer großen Kohortenstudie von hospitalisierten Patienten in New York das Durchschnittsalter bei 63 Jahren lag (Richardson 2020). Eine Erklärung könnte hier das insgesamt jüngere Alter in HIV-Kohorten sein, aber auch länderspezifische Unterschiede, so liegt der Altersmedian in Deutschland der bestätigten Fälle lediglich bei 49 Jahren (RKI 2020).

In den größeren Fallserien war ein hoher Prozentsatz an Komorbiditäten zu verzeichnen: 60% (Härter 2020) und 64% (Gervasoni 2020). Dies ist passend zu den insgesamt höheren Raten an Komorbiditäten bei HIV-Infizierten (Gueraldi 2018).

Outcome

In der Fallserie aus Deutschland ist bei 32 Patienten der Ausgang dokumentiert. 29/32 (91%) haben sich von der COVID-19 Erkrankung beim letzten follow-up erholt. 76% wurden als mild klassifiziert. Gleichwohl waren 24% schwere bzw. kritische Fälle. Die Hospitalisierungsrate lag mit 42% höher als in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland mit 17% (RKI 2020). Auch in Italien war die Hospitalisierungsrate mit 46% höher als in der Allgemeinbevölkerung (Gervasoni 2020). Die Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung benötigten, war mit 43% der hospitalisierten Patienten (Härter et al., 2020) bzw. 29% (Karmen-Tuohy 2020) doch höher als im Vergleich mit großen Kohortenstudien (14%) (Ri-chardson 2020) bzw. 28% (Petrilli 2020). Allerdings ist die Hospitalisierungsrate bei SARS-CoV-2-Infektionen nicht exakt anzugeben, da geschätzt 20-40% der Infektionen asymptomatisch verlaufen (Gudbjartsson 2020; Mizumoto 2020). Möglicherweise wird die Hospitalisierungsrate bei HIV-Infizierten in den Fallserien daher zu hoch eingeschätzt, da lediglich symptomatische Patienten oder nur hospitalisierte Patienten beschrieben werden. Ein weiterer „Bias“ könnte darin liegen, dass HIV-Infizierte Patienten aufgrund der Klassifikation als mögliche Risikopatienten eher stationär zur Beobachtung aufgenommen wurden.

Insgesamt sind drei Patienten verstorben (9%) (Härter et al., 2020). Dies bedeutet eine Case fatality rate von 9% und erscheint damit auf den ersten Blick höher als in der gesamten deutschen Bevölkerung von 4,6% (RKI 2020). Allerdings ist die Mortalität der hospitalisierten Patienten mit 3/14 (21%) (Härter 2020) vergleichbar zu der Mortalität der HIV-Fallserie aus New York mit 29% (Karmen-Tuohy 2020). In den großen Kohortenanalysen aus China und den USA finden sich ähnliche Mortalitätsraten unter den hospitalisierten Patienten von 28% (Zhou F 2020) bzw. 21% (Richardson 2020). Somit liegt also unter den hospitalisierten HIV-Infizierten mit COVID-19 keine relevant erhöhte Mortalität vor.

Effekt der ART

Möglicherweise könnte es einen protektiven Effekt durch die antiretrovirale Therapie geben. Insbesondere den HIV-Proteaseinhibitoren (PI) wie Lopinavir und Darunavir wird im Rahmen der aktuellen Epidemie ein gewisser Effekt zugeschrieben, die Datenlage ist allerdings nicht einheitlich.

Lopinavir scheint sowohl gegen MERS-CoV als auch gegen SARS-CoV antivirale Effekte zu haben und einen Post-Entry-Schritt im Replikationszyklus zu hemmen (de Wilde 2020). Die erste größere, gut kontrollierte und offen randomisierte Studie zu Lopinavir/Ritonavir bei 199 hospitalisierten Erwachsenen mit schwerer COVID-19-Erkrankung erbrachte keinen relevanten klinischen Nutzen versus einer Standardtherapie (Cao 2020).

Für den Proteasehemmer Darunavir ist am 18. März in Spanien eine große Studie (CQ4COV19) mit über 3.000 Teilnehmern angelaufen. Dabei werden Patienten mit milder Symptomatik unmittelbar nach positivem SARS-CoV-2-Test mit Darunavir/r und Chloroquin behandelt. Hersteller Janssen-Cilag veröffentlichte am 13. März allerdings ein Schreiben an die EMA, wonach „Darunavir aufgrund vorläufiger, unveröffentlichter Ergebnisse eines in vitro Experiments wahrscheinlich keine signifikante Aktivität gegen SARS-CoV aufweisen wird – bei Verabreichung in der zugelassenen Dosis zur Behandlung von HIV-1-Infektionen.“ Auch eine kleine Fallserie aus Italien erbrachte keinen relevanten Nutzen von Darunavir/Ritonavir (Riva 2020). Auch in unserer Fallserie (Härter et al., 2020) waren vier Patienten mit einem Darunavir-haltigen Regime vor der COVID-19 Erkrankung behandelt, 3/4 mussten stationär behandelt werden und ein Patient verstarb. In der italienischen Fallserie waren 5/47 (10%) mit einem geboosteten Proteasehemmer behandelt (Gervasoni 2020). Dies macht doch einen protektiven Effekt der Proteasehemmer unwahrscheinlich.

Neben den Proteasehemmern wird auch für Tenofovir eine potentielle Wirkung gegen SARS-CoV-2 postuliert. Das Nukleosid-Analogon Remdesivir weist einige chemische Ähnlichkeiten zu Tenofoviralafenamid (TAF) auf. Tenofovir bindet möglicherweise an die SARS-CoV-2 RNA polymerase (RdRp) (Elfiky 2020; Jockusch 2020, Ju J 2020). In Spanien läuft derzeit eine große, randomisierte Plazebo-kontrollierte Studie zu Prophylaxe gegen COVID-19 btarbeitern im Gesundheitswesen. Dabei wird Tenofovirdisoproxil/Emtricitabine mit Hydroxychloroquin bzw. der Kombination versus Plazebo verglichen (EPICOS).

Fazit

Der klinische Verlauf von COVID-19 ist bei HIV-Infizierten ähnlich zur Gesamtbevölkerung.

Eine relevant erhöhte Mortalität kann insgesamt nicht beobachtet werden.

Die antiretrovirale Therapie scheint keinen protektiven Effekt zu haben. Daher ist eine Umstellung auf z.B. einen Proteasehemmer nicht gerechtfertigt. Auch die Einnahme von TDF/FTC als PrEP außerhalb der bestehenden Indikation als HIV-Prophylaxe kann nicht empfohlen werden.

Die regelmäßige klinische Versorgung von HIV-Infizierten muss auch in Pandemiezeiten unbedingt aufrecht erhalten bleiben.

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