Martin Viehweger, Berlin
Chemsex – Was wird konsumiert?

Sex-assoziierter Substanzkonsum ist überall in Deutschland verbreitet. Doch welche Substanzen werden da konsumiert? In welchen Dosierungen? Wie ist das Wirk- und Nebenwirkungsprofil? Wichtige Aspekte bei der Beratung.

Drug-Drug-Interaction-Chart
Drug-Drug-Interaction-Chart

Im letzten Jahrzehnt hat sich im sexuellen Kontext ein neues Phänomen bei Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, etabliert: Chemsex. Der Begriff, der im anglikanischen Raum seit ca. 2004 und in Deutschland seit 2009 benutzt wird, beschreibt die Einnahme von bestimmten chemischen, psychoaktiven Substanzen zur Amplifizierung der eigenen sexuellen Kultur. Chemsex beschreibt dabei kein Phänomen herkömmlicher Traditionen von sexuellem Substanzkonsum wie er im Partyleben (recreational drugs) zwischen Menschen aller Geschlechter stattfindet, sondern geschieht zur Anregung des sexuellen Appetits, zum Abbau von Hemmungen, zur Steigerung des eigenen Sexualempfindens. Die Euphorisierung steht oft im Kontrast zu einer Pseudo-Intimität: intime Handlungen werden unter dem Einfluss von Substanzen akzeptiert, die sonst nicht zugelassen worden wären. Demgegenüber be-/entsteht während einer Session aber auch oft ein Gemeinschaftsgefühl, ein intimer Zusammenhalt, „Togetherness“, „Brotherhood“, welches beim gemeinsamen Abhängen, Reden, Beieinandersein auf dem Sofa, im Bett, der Küche usw. zu einem immer wieder ersehnten und unterschätzten „Bonding“ führt.

Konsumwege

Slamming-Kits
Slamming-Kits

Der gemeinsame Konsum findet auf Sex-Partys zumeist auf privaten After-Partys oder zu Hause statt, wobei die Substanzen gemeinsam über das gesamte Wochenende hinweg und in unterschiedlichen Kombinationen konsumiert werden. Die gebräuchlichen Substanzklassen sind Gamma-Butyrolactone (Vorstufe der Gamma-Hydroxybutyrate; GBL, GHB, „G“), Ketamine („Keta“), Christal Meth/Methamphetamine („Tina“, „T“, „Tante“) und Mephedron. Sie werden im sexuellen Kontext oft mit Poppers (Amylnitrit) sowie den PDE5-Inhibitoren (Sildenafil, Tadalafil u.a.) kombiniert. Der Substanzkonsum geschieht inhalativ (rauchen), intranasal (sniffing), intravenös (slamming), oral (Schlucken von „Bömbchen“) sowie rektal (Suppositorien). Das „slamming“ spielt dabei eine besondere Rolle.

Risiko STI

Der sexualisierte Substanzkonsum birgt das Risiko für Infektion mit den klassischen sexuell übertragbaren
Erkrankungen (Lues, Gonorrhoe, Chlamydien- und Mykoplasmen-Infektionen), daneben auch für die viralen Hepatitiden (A-C) sowie für HIV durch den gemeinsamen Gebrauch von Sexspielzeug, die gemeinsame intravenöse Applikation, und allem voran durch ungeschützten Geschlechtsverkehr („barebacking“). Chemsex erfolgt meist mit wechselnden Geschlechtspartnern, beim Gruppensex und im Kontext risikoreicher Sexualpraktiken („Fisting“, „Sounding“). Vor allem aber ist unter Substanzeinfluss die zwischenmenschliche Kommunikation bezüglich einvernehmlicher Sexualpraktiken erschwert (consensual Sex). Der fehlende Zugang zu Informationen, Vorurteile und die Stigmatisierung erschweren die Risikoreduktion in diesem Kontext.

Therapiekonzepte

Der Großteil der Chemsex-Nutzer passiert eine Phase im Leben mit Substanzkonsum ohne Zwischenfälle, eine wachsende Zahl erleidet jedoch schwere körperliche und/oder psychische, teils sogar lebensbedrohende, Traumata. Bei einigen Usern kommt es neben dem sexualisiertem Gebrauch zusätzlich zum täglichen, nicht Sex-assoziierten Konsum mit „klassischem“ Abhängigkeitsmuster.

Aktuelle Therapiekonzepte fußen zumeist auf Erfahrungen und Wissen aus dem schädlichen Umgang mit Alkohol und Heroin. Konzepte zur Annäherung an das Thema Chemsex sind dagegen spärlich, denn die Promotoren von Chemsex und sexualisiertem Substanzkonsum sind andere: Scham, Intimität, Sexualität, Fetisch, Kink, andere sexuelle Bedürfnisse, Rausch, Leistungsdruck, Lebens-Optimierungsdruck, Identitätsfragen/Zugehörigkeit, Eskapismus. Im Gespräch mit den Nutzern hilft vor allem eine wertschätzende, vorurteilsfreie Kommunikation. Entscheidend ist die Frage des Use oder Abuse, also des Gebrauches oder Über-/Missbrauches.

Der ambulante und/oder stationäre somatische Entzug gestaltet sich insgesamt als sehr komplex. Vor allem beim Entzug von GBL (stationär z.B. mit Xyrem® möglich) besteht nur wenig Erfahrung. Internistische Kliniken sind mit dem alternierenden Wechsel zwischen hyper- und hypokinetischem Delir während der Entzugsphase von GBL überfordert, psychiatrische Kliniken dagegen haben keine ICU (intermediate care unit) zur somatischen Überwachung von Kreislauffunktionen, was beim Entzug von GBL zunehmend notwendiger wird. Medizinisches und psychotherapeutisches Fachpersonal sind nur selten sensibilisiert und meist nicht ausreichend entsprechend geschult. Zudem bestehen, mit wenigen Ausnahmen, keine gut etablierten, adaptierten Nachsorgekonzepte. Die Rückfallquoten sind entsprechend hoch.

Neue Konzepte

Für die Bedürfnisse von Chemsex-Nutzern bedarf es neuer integrativer, therapeutischer Konzepte: Körperarbeit, soziale Fähigkeiten und Selbstwirksamkeit finden und fördern, alternative Angebote schaffen und den Umgang mit Dating-Applikationen neu erlernen, Schamgefühle aushalten, Aufklärung und Edukation im Bereich Sexualität, Intimität, Schulungen für medizinisches Personal, Psychotherapeut*innen, Workshops für Saunen/Bars/Clubs zum safer Clubbing und Partying für das Fachpersonal.

Um diese Bedürfnisse zu realisieren hat sich das ChemSexNetzwerk Berlin erstmalig Anfang 2018 mit relevanten und interessierten Diensten und Personen, die im Bereich tätig sind, getroffen. Bei den regelmäßigen Treffen versuchen die Teilnehmer*innen Synergien zu fördern, ein gemeinsames Verständnis für die unterschiedlichen Sexualkulturen zu schaffen, Kompetenzen für Substanzkonsum im sexualisierten Kontext zu verbessern, Behandlungspfade und Leitlinien zu entwickeln und in der Politik beim Senat gemeinsame Interessen zu vertreten. Das Netzwerk versteht sich als Kompetenzforum und erarbeitet mit Kolleg*innen aus anderen Regionen aktuell ein Konzept zur Gründung eines nationalen, interdisziplinären ChemSex-Vereins.

Übersicht Substanzen*

Dosierung
Mephedron Dosierung

Dauer
Mephedron- Dauer

Mephedron

(4mmc, Meow Meow, MCAT): Tabletten oder Pulver (zur intravasalen, intranasalen, inhalativen oder rektalen Gabe)

Wirkungen: Euphorie, intensiveres Erleben von Musik, verbesserte Stimmung, verminderte Feindseligkeit, verbesserte mentale Funktion und sexuelle Stimulation. Die entaktogene, sexualisierende Wirkung wird als stärker als unter MDMA beschrieben.

Nebenwirkungen: Angst und Paranoia, Überreizung von Herz, Kreislauf und Nervensystem, Gefahr von epileptischen Anfällen. Moderates Abhängigkeitspotential mit hohem Potenzial für Übergebrauch durch hohen Druck immer wieder Nachlegen zu wollen.

GHB/GBL

(G, Gina, liquid ecstasy): Flüssigkeit, die zu einem alkoholfreien Getränk hinzugefügt wird. GBL ist eine stärker wirkende Vorstufe, welche im Körper zu GHB umgewandelt wird.

Wirkungen: Euphorie, verringerte Hemmungen, erhöhter Sexualtrieb. Verstärkung der Wirkung anderer Drogen. Entspannende Effekte können den rezeptiven Analverkehr erleichtern oder angenehmer machen.

Nebenwirkungen: Gedächtnislücken, Ungeschicklichkeit, Schläfrigkeit, Zittern, Erregung. Sehr riskant in Kombination mit Alkohol und/oder Amphetaminen. Überdosierung kann einen „G-Schlaf“ auslösen – einen Zustand der Bewusstlosigkeit, der eine medizinische Intervention erforderlich machen kann.

GHB-Dosierung
GHB-Dosierung

GHB-Dauer
GHB-Dauer

GBL-Dosierung
GBL-Dosierung

GBL-Dauer
GBL-Dauer


Crystal Methamphetamin

(Crystal, tina, meth, ice, T): Inhalativ (Glaspfeife), intranasal, intravenös, rektal

Wirkungen: Euphorie, erhöhte Energie beim Sex oder Tanzen, gesteigertes Selbstvertrauen, Gefühle der Unbesiegbarkeit und Impulsivität, verminderte Schmerzerfahrung, intensive sexuelle Stimulation und verringerte Hemmungen.

Nebenwirkungen: Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Zittern oder Krämpfe, unregelmäßiger Herzschlag, Depressionen, Erschöpfung und Paranoia. Hohes Abhängigkeitspotenzial, hoher Druck nachlegen zu wollen.

Dosierung
Dosierung


Dauer
Dauer


Dosierung
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Dauer

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Ketamine

(K, special K, vitamin K): Flüssig oder Tabletten, als Pulver zur intranasalen oder intravenösen Verabreichung.

Wirkungen: In subanästhetischen Dosen produziert Ketamin einen dissoziativen Zustand, der durch ein Gefühl der Loslösung vom eigenen physischen Körper und der äußeren Welt gekennzeichnet ist.

Nebenwirkungen: Verwirrung, Agitiertheit, Panikattacken, Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses und Depression (bei Langzeitnutzern). Verhärtungen der Blasenwände und Probleme beim Wasserlassen (Ketaminblase). Bei ausreichend hohen Dosen kann es zu einem sogenannten „K-Loch“ kommen, einem Zustand extremer Dissoziation mit visuellen und akustischen Halluzinationen. Abhängigkeit vor allem bei chronischem Konsum.


Dosierung
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Dauer
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Kokain

(Coke, Charlie, snow, blow): Puder zur intranasalen oder inhalativen Anwendung („Crack-Kokain“).

Wirkungen: Erhöhte Energie, Vertrauen und Erheiterung. Menschen, die Kokain konsumieren, beschreiben oft ein geselligeres, gesprächigeres und körperlich stärkeres Verhalten.

Nebenwirkungen: Erhöhte Körpertemperatur und Herzfrequenz; Risiko eines Herzinfarkts. Langfristig Schädigung des Knorpels der Nase. Hohes Abhängigkeitspotential, hoher Grad an zwanghaftem Nachdosieren.

Links

Esaferparty.ch

know-drugs.ch

tripsit.me

checkit.wie

Drugscout.de

Mindzone.info

Pharmawiki.ch

Hiv-druginteractons.org

Hiv-drogen.de

psychonautwiki


*Gebräuchliche Substanzen beim Chemsex: Dosierungsangaben sind gesammelte Informationen von Usern und Quellen und ausschließlich für edukative Zwecke. Es handelt sich weder um Empfehlungen noch sollten sie ohne Rücksichtnahme auf individuelle Bedürfnisse, Erfahrungen, Umstände ohne Überprüfung durch andere Quellen verbreitet werden. (Quellen: Knowdrugs, saferparty, Psychonautwiki, tripsit, u.a.)


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