Weltaidskonferenz 29. Juli - 2. August 2022 Montreal, Kanada
AIDS 2022Updates und neue Aspekte

Die 24. WeltAidsKonferenz fand im kanadischen Montrèal unter dem Motto „Re-engage and follow the science” statt. Die Welt hat die vor Corona gesetzten Ziele aus den Augen verloren und soll sich wieder im Kampf gegen HIV/Aids engagieren.

Auf der diesmal deutlich kleineren Konferenz (nur circa 9.000 Teilnehmer*innen vor Ort) standen wie (wie üblich) die politischen und sozialen Themen im Vordergrund, flankiert von den mittlerweile obligaten Verweisen auf die Ur-Einwohner (First Nation) und den Forderungen auf weltweiten Zugang für alle (Affenpocken-Impfstoff) sowie den Protesten gegen die Industrie (Cabotegravir zur PrEP viel zu teuer). Daneben gab es doch noch einige interessante wissenschaftliche Arbeiten. Wenig interessant, aber vielleicht erwähnenswert, weil überall in den Schlagzeilen: Es wurde erneut eine Person von HIV geheilt, erneut durch Transplantation von Knochenmark mit der Delta-23-Mutation wegen einer Leukämie.

ART und Gewicht

Die Daten verdichten sich: Sowohl TAF wie auch die Integrasehemmer der zweiten Generation begünstigen (oder verursachen) eine Gewichtszunahme. Die Langzeit-Daten der afrikanischen Studie ADVANCE zeigen nach vier Jahren immer noch ansteigendes Körpergewicht unter Dolutegravir/F/TAF. Die Teilnehmer hatten unter dieser Kombination 9 kg zugenommen im Vergleich zu 6 kg unter Dolutegravir/F/TDF und 3 kg unter Efavirenz/F/TDF. Betroffen waren vor allem die Frauen. Nahezu 50% entwickelten eine Adipositas (BMI >30) und 25% ein metabolisches Syndrom (Abb. 1) (Venter WF et al., PELBB01).

In den Zulassungsstudien zu Biktegravir/F/TAF (n=634) nahmen die Teilnehmer*innen im ersten Jahr am meisten zu (3 kg), in den folgenden vier Jahren ging das Gewicht pro Jahr um 0,5-1,2 kg nach oben, was insgesamt eine Zunahme von 6 kg in fünf Jahren ergab (Sax P et al., EPB150).

Für die Gewichtsentwicklung spielt es offenbar keine Rolle, ob der Integrasehemmer geschluckt oder gespritzt wird. Gepoolte Daten aus den Studien FLAIR und ATLAS, zeigen unter Cabotegravir+Rilpivirin LA und
Dolutegravir/Abacavir/Lamivudin eine vergleichbare Gewichtszunahme von 1 kg innerhalb von 48 Wochen und knapp 2 kg innerhalb von 96 Wochen. Mehr als 10% ihres Körpergewichts nahmen rund 12% der Teilnehmer zu. Die Autor*innen beurteilten die Gewichtszunahme insgesamt als „minor“ (Patel P et al., EPB183). Ob die Patient*innen das auch so sehen, geht aus den Studiendaten nicht hervor.

WeltAidsKonferenz 29. Juli - 2. August 2022 Montreal, Kanada
WeltAidsKonferenz 29. Juli - 2. August 2022 Montreal, Kanada

Real World überall

Auch außerhalb von Studien wurde die Gewichtszunahme beobachtet. 7.047 Personen in Zimbabwe, die 2008-2021 eine ART begonnen bzw. das Regime gewechselt hatten, hatten unter Dolutegravir innerhalb von zwei Jahren zwei- bis viermal mehr Gewicht zugelegt als unter einem NNRTI oder geboosterten Proteasehemmer (Frauen: +4,6 kg vs.+ 1,2 kg vs. + 1,6 kg). Die Zunahme war im ersten Jahr am ausgeprägtesten. Im zweiten Jahr kam es nur in der INI-Gruppe zur weiteren Zunahme (Shamu T et al., PESUB17).

Ein ähnliches Bild in Europa: Sowohl unter einem Integrasehemmer sowie unter TAF nahmen die Menschen zu, am meisten unter der Kombination beider Substanzen. In vier Kohorten (n=2.666) wurde innerhalb von 12 Monaten bei Therapienaiven unter Integrasehemmer mit TAF ein Plus von 3,4 kg beobachtet im Vergleich zu 1,6 kg unter einem NNRTI mit TAF. Auch der Switch von TDF zu TAF führte – diesmal unabhängig von der dritten Substanz – zur Zunahme (Robineau E et al., EPB118).

TAF besser HIV/HBV?

In der noch laufenden Phase-3-Studie ALLIANCE wird die Fixkombination B/F/TAF gegen DOL + F/TDF bei HIV/HBV-Koinfektion geprüft. An der Studie nahmen 243 für beide Infektionen therapienaive Asiat*innen (90%) teil. 80% waren HBeAg-positiv und immuntolerant, d.h. keine erhöhte Transaminasen.

Nach 48 Wochen Therapie war der Effekt im Hinblick auf die HIV-Infektion vergleichbar. Die Fixkombination schnitt jedoch im Hinblick auf die Hepatitis B besser ab. Trotz gleich verlaufendem Abfall der HBV-Viruslast erreichten in der TAF-Gruppe signifikant mehr Patient*innen eine Viruslast <29 IU/ml (63% vs. 43%, p=0.0023) und eine HBeAg-Serokonversion (23% vs. 11%, p=0.031). Der Unterschied bei HBsAg-Verlust und -Serokonversion war numerisch höher, aber statistisch nicht signifikant (12,6% vs. 5,8% und 8,4% vs. 3,3%) (Abb. 2) (Avihingsanon A et al., OALBX0105).

Abb. 2 ALLIANCE: HBs/eAg-Verlust und Serokonversion zu Woche 48
Abb. 2 ALLIANCE: HBs/eAg-Verlust und Serokonversion zu Woche 48

Die deutlich höhere Serokonversionsrate bei HIV/HBV-Koinfizierten als bei HBV-Monoinfizierten wird im Wesentlichen auf die Immunrekonstitution unter ART zurückgeführt. Der Grund für Differenz zwischen TDF und TAF ist unklar. In den Studien bei HBV-Monoinfizierten wurde dies jedenfalls nicht beobachtet.

PrEP

Bei der PrEP wurde vor allem über die LA-PrEP mit Cabotegravir diskutiert, die mittlerweile in den USA zugelassen ist und auch in die Empfehlungen der WHO aufgenommen wurde. Die beiden Studien HPTN 083 und 084 belegen eindrucksvoll die Überlegenheit von Cabotegravir LA gegenüber F/TFD oral bei Frauen, Männern und transgender Frauen. Der Preis für die 2-Monats-Dosis Cabotegravir liegt in den USA im Bereich einer zweimonatigen ART, nämlich bei 3.700 U$. Kosteneffektiv ist die Spritzen-PrEP nach Berechnungen aus Südafrika auf Basis der HPTN-Daten allerdings erst bei einem Preis von 60 U$ pro Jahr (Jamieson L et al., OAE0304). Man darf also gespannt sein, ob es diesmal auch so lange dauert, wie bei Truvada® bis die Cabotegravir-PrEP für Selbstzahler bzw. Gesundheitssysteme erschwinglich ist.

Neue Entwicklungen

Zu dem NRTTI Islatravir gab es nur Daten zur Interaktion mit anderen Substanzen, keine weiteren Informationen zum Einfluss auf die CD4-Zahl und keine Information, wie es nun mit Islatravir weiter geht. Zu Lenacapavir wurden Updates zu den Studien CAPELLA und CALIBRATE gezeigt. Die Resistenzentwicklung gegen Lenacapavir bei 8/72 CAPELLA-Teilnehmer*innen mit Multiresistenz war mit einer vorgeschalteten 14tägigen Monotherapie assoziiert. Bei 12/72 virämischen Personen ohne Lenacapavir-Monotherapie waren keine assoziierten RAMs nachweisbar (Marrgot N et al., EPB240). Bei den therapienaiven Personen in CALIBRATE hatten nach 54 Wochen 2/152 (1,3%) Personen eine Resistenz entwickelt aufgrund einer funktionellen Monotherapie bei unzureichender Adhärenz (VanderVeen L et al., EPB239). Dies ist ein interessantes neues Phänomen, das es weiter in der Praxis zu beachten gilt: Bei Kombination von sehr langwirksamen (parenteralen) Substanzen mit kurzwirksamen oralen Substanzen kann es bei therapienaiven Patienten bei unregelmäßiger Tabletteneinnahme schnell zur funktionellen Monotherapie kommen.

Auch bei den bereits zugelassenen Substanzen geht die Entwicklung weiter. So wurde bei Cabotegravir sowie Rilpivrin die intramuskuläre Injektion in den M. Vastus lateralis am Oberschenkel sowie die subkutane geprüft (Benn P et al., PESUB24, Han K et al., EPB176).

Kommentar Dr. Susanne Buder, Berlin
Nicht empfehlenswert für Gonorrhoe


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Dr. med. Susanne Buder
Konsiliarlabor für Gonokokken
Berlin
E-Mail: susanne.buder@vivantes.de

Infektionen mit Neisseria gonorrhoeae sind im letzten Jahrzehnt wegen zunehmend erschwerter Behandelbarkeit in den Fokus gerückt. Seit Einführung der antibiotischen Therapie haben die Gonokokken gegen alle bisher eingesetzten Antibiotika Resistenzen entwickelt, wodurch die Therapieoptionen stark eingeschränkt wurden. Deshalb hat die WHO N. gonorrhoeae 2017 als einen Erreger mit hoher Priorität eingestuft, für den aufgrund besorgniserregender Resistenzzunahme dringend neue Antibiotika benötigt werden. Die aktuelle Resistenzsituation für N. gonorrhoeae wird in Deutschland anhand eines Surveillanceprojektes (GO-Surv-Stat, zuvor GORENET) am RKI überwacht. Für Tetrazykline, und somit Doxycyclin, gibt es seit 2018 kontinuierliche Surveillancedaten. Bei weit verbreiteten Resistenzphänotypen für Tetrazykline (78-83% in den Jahren 2018-2021) können diese nicht zur Behandlung der Gonorrhoe empfohlen werden. Die Daten dienen auch als Evidenzbasis für die Formulierung der aktuellen deutschen AWMF-Therapieleitlinie „Diagnostik und Therapie der Gonorrhoe “ (2019), in der Doxycyclin nicht empfohlen wird.

Letztendlich muss bei langdauernder, intermittierender oder wiederholter Antibiotikagabe die resistenzinduzierende Wirkung auf andere bakterielle Krankheitserreger und das Mikrobiom sehr kritisch diskutiert werden. In Anbetracht der bereits schwierigen therapeutischen Situation bei STI, und unter Berücksichtigung des `Antibiotic stewartship´, sollte auf eine generelle STI-Antibiotikaprophylaxe verzichtet werden. Die Resistenzsituation für viele Erreger, insbesondere auch N. gonorrhoeae, ist bereits dramatisch und unterstützt die Idee einer Doxycyclin PEP nicht. Die Autoren der oben erwähnten DoxyPEP Studie äußern sich diesbezüglich ebenfalls kritisch und fordern weitere Studien, vor allem hinsichtlich Resistenzentwicklungen.



Abb. 1 DoxyPEP: STI-Inzidenz Quartal (Primärer Endpunkt)
Abb. 1 DoxyPEP: STI-Inzidenz Quartal (Primärer Endpunkt)

Abb. 3 DoxyPEP: Tetracyclin-Resistenz
Abb. 3 DoxyPEP: Tetracyclin-Resistenz

Doxycyclin-PEP

Das Update der amerikanischen Studie DoxyPEP bestätigt die schon vorab publizierten Daten: Doxycyclin nach dem Sex vermindert das STI-Risiko um rund 60%. 554 MSM (360 PrEP-User, 194 HIV-positiv), nahmen innerhalb von 72 Stunden nach dem Sex einmalig Doxycyclin 200 mg bzw. keine Prophylaxe. Die 3-Monats-Inzidenz von STI lag mit Prophylaxe bei 11% im Vergleich zu 32% ohne Prophylaxe. Bei den HIV-positiven Männern war die Effektivität etwas geringer: 12% vs. 30%. Besonders wirksam war die Doxy-Prophylaxe gegen Chlamydien, bei der Lues waren die Fallzahlen sehr klein, so dass eine zuverlässige Aussage schwierig ist. Die Achillesferse der DoxyPEP ist die Gonorrhoe. Etwa 20% der Gonokokken (n=12) waren Tetracyclin-resistent (Abb. 1-3).

Die Adhärenz der MSM war sehr gut. Nach 87% der sexuellen Kontakte wurde die DoxyPEP korrekt eingenommen. Etwa die Hälfte der MSM nahm weniger als 10 PEP-Dosen pro Monat, 39% 10-20 Dosen und 16% nahmen die Tabletten fast täglich ein (>20 Dosen/Monat) (Luetkemeyer A et al., OALBXo1).



Abb. 2 DoxyPEP: STI-Inzidenz nach Erreger und Lokalisation
Abb. 2 DoxyPEP: STI-Inzidenz nach Erreger und Lokalisation



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