Stefan H.E. Kaufmann, Berlin und Göttingen
Impfstoffentwicklung gegen Tuberkulose

Eine Impfung gegen Tuberkulose wird dringend gebraucht, dennoch gibt es nur wenige Kandidaten. Dies liegt nicht nur an der Komplexität der Immunantwort, sondern auch an der geringen finanziellen Förderung.

Stefan H.E. Kaufmann (rechts) führt Immunogenitätstests an menschlichen Proben durch © Max-Planck-Gesellsch
Stefan H.E. Kaufmann (rechts) führt Immunogenitätstests an menschlichen Proben durch© Max-Planck-Gesellsch

Bacille-Calmette-Guérin (BCG) ist ein attenuierter Lebendimpfstoff, der vor 100 Jahren entwickelt und nach seinen Entdeckern benannt wurde. BCG ist bis heute der einzige zugelassene Impfstoff. Die Impfung schützt zwar Kleinkinder vor der heftig verlaufenden extrapulmonären TB, sein Schutz gegen die häufigste Form, die Lungen-TB, in allen Altersgruppen ist jedoch unbefriedigend. Es besteht daher Übereinstimmung, dass neue bessere TB-Impfstoffe dringend benötigt werden. In den letzten Jahren gelangten mehr als ein Dutzend Impfstoffkandidaten in die klinische Überprüfung. Grund für diese zögerliche Entwicklung sind erstens ungenügende finanzielle Förderung von Forschung und Entwicklung und zweitens die Komplexität der schützenden Immunantwort. Im Gegensatz zu zahlreichen viralen Erkrankungen einschließlich Covid-19 sind neutralisierende Antikörper gegen protektive Antigene bei der TB nicht bekannt. Vielmehr beruht die Wirkung auf einem komplexen Wechselspiel zwischen unterschiedlichen T-Lymphozyten-Populationen.

Neue Vakzine

In der klinischen Überprüfung befinden sich Impfstoffe, die entweder aus wenigen Antigenen bestehen (Untereinheitenimpfstoffe) oder Ganzzellvakzinen, die weitgehend alle Antigene des Erregers enthalten. Für
Untereinheitenimpfstoffe werden entweder Antigene in „starken“ Adjuvantien zur T-Lymphozyten-Stimulation formuliert oder die Antigene von viralen Trägern exprimiert. Ganzzellimpfstoffe sind entweder inaktivierte Totimpfstoffe oder attenuierte Lebendimpfstoffe. In der präklinischen Entwicklung befinden sich u.a. auch mRNA-Impfstoffe.

Die meisten Impfstoffe in klinischer Überprüfung sind noch in der Phase I und Phase II auf Sicherheit und Immunogenität und nur wenige Impfstoffe haben die Phase III auf Schutz erreicht. Der Untereinheitenimpfstoff M72:AS01 ist ein Fusionsprotein aus zwei Antigenen in einem potenten T-Zell-Adjuvans, welches auch für die zugelassenen Impfstoffe gegen Malaria und Gürtelrose eingesetzt wird. In einer Phase IIb Studie mit latent infizierten gesunden Probanden wurden Hinweise auf 54% Schutz gegen TB in Geimpften gegenüber Ungeimpften gefunden. Eine Phase IIb Studien mit dem zugelassenen BCG-Impfstoff ergab nach Revakzinierung Erwachsener 45% Schutz gegen Infektion.

Phase-3-Studien

Tuberkuloseimpfung© AdobeStock

In der entscheidenden Phase-3-Entwicklung auf Impfschutz und Sicherheit in größeren Studiengruppen befinden sich wenige Impfstoffkandidaten. Der weitest fortgeschrittene Impfstoffkandidat ist VPM1002, der auf einer genetischen Modifikation des zugelassenen BCG-Impfstoffs beruht. Dieser Kandidat bewirkte einen besseren Schutz und höhere Sicherheit in Tiermodellen. Eine Phase III Studie untersucht derzeit, ob in Neugeborenen mit oder ohne HIV-Exposition VPM1002 höhere Sicherheit und besseren Schutz im Vergleich zu BCG bewirkt. Diese Studie wird an elf Studienorten in fünf Ländern Sub-Sahara Afrikas durchgeführt. Eine zweite Phase III Studie in Indien untersucht, ob VPM1002 oder ein inaktivierter Ganzzellimpfstoff in Haushaltskontakten von neu diagnostizierten TB-Fällen Schutz hervorruft. In einer dritten Phase III Studie wird untersucht, ob der Impfstoff VPM1002 gegen TB-Rekurrenz schützt. Nach chemotherapeutischer Behandlung der TB tritt in einem Teil der Behandelten erneut TB auf, die entweder auf einem Relapse beruht, bei dem einige Erreger die Behandlung überstehen und erneut TB hervorrufen oder um eine Reinfektion durch einen neuen Erreger, die zur Erkrankung führt.

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© AdobeStock

Perspektive

Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren klar wird, ob ein oder mehrere Impfstoffe gegen die unterschiedlichen Formen der TB wirksam sind. Weltweit sind etwa 1,7 Milliarden Menschen latent mit dem Erreger infiziert. Diese Personen sind gesund und nicht ansteckend; aber bei etwa 10% kann im Laufe des Lebens eine aktive TB ausbrechen. Besondere Gefährdung besteht bei einer Koinfektion mit HIV. Wir benötigen daher sowohl eine
Impfung vor Erreger-Exposition für Kleinkinder und Erwachsene als auch eine Impfung nach Erreger-Exposition für bereits latent Infizierte. Das ehrgeizige Ziel der Weltgesundheitsbehörde, die TB bis zum Ende dieses Jahrzehnts zu eliminieren, kann auf jeden Fall nur erreicht werden, wenn hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen. Dies war auch das dezidierte Ziel des „United Nations High Level Meeting on TB“ im Jahr 2018. Die hohen Erwartungen wurden in keiner Weise erfüllt, nicht zuletzt wegen der Covid-19 Pandemie. Im Jahr 2023 wird ein weiteres „United Nations High Level Meeting on TB“ stattfinden und es ist zu hoffen, dass diesmal die Zielvorstellungen besser umgesetzt werden.

Interessenserklärung

Der Verfasser ist Ko-Entwickler und Ko-Patentinhaber für den TB-Impfstoff VPM1002, der an die Vakzine Projekt Management GmbH, Hannover und das Serum Institute of India Pvt. Ltd., Pune, Indien lizenziert wurde.

Weiterführende Literatur

1 Kaufmann, S.H.E.: Covid-19 und die Bedrohungen durch Pandemien. Wie sie entstehen und was wir dagegen tun müssen.

In: Schriftenreihe Nachhaltigkeit, Band 8 (Jürgen Kerwer, Angelika Röming, eds.), Hessische Landeszentrale für politische Bildung (2020)

2 Kaufmann, S.H.E.: Vaccine development against tuberculosis over the last 140 years: Failure as part of success Front. Microbiol. 12:750124. doi: 10.3389/fmicb.2021.750124 (2021)

3 Kaufmann, S.H.E.: Impfen. Grundlagen, Wirkung, Risiken Serie Wissen, C.H. Beck Verlag, München (2021)


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