Islatravir – die Entwicklung geht weiter

Mitte Dezember 2021 hat die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA die klinischen Studien mit Islatravir (MK-8591) ausgesetzt. Nun wird das Studienprogramm modifiziert fortgesetzt.

Das NRTTI (nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Translokations-Inhibitor) Islatravir (ISL) von MSD ist eine Substanz mit neuartigem Wirkmechanismus und fehlender Kreuzresistenz zu anderen NRTI. Sie wurde/wird untersucht als Tablette zur täglichen Gabe (allein und in Fixkombination mit Doravirin), als Tablette zur monatlichen Gabe, als langwirksame Injektion und als Implantat zur Behandlung und Prophylaxe einer HIV-Infektion.

ISL unterscheidet sich von anderen ART-Komponenten durch eine hohe antivirale Aktivität schon bei sehr niedrigen Dosierungen. Bei einer vorgeschlagenen Dosis von 0,25 mg pro Tag erreicht ISL höhere virologische IC50 gegen Wildtyp-HIV-1 als jeder derzeit zur Behandlung zugelassene NRTI. Darüber hinaus zeigt es auch eine starke Aktivität gegen die am weitesten verbreitete NRTI-Resistenzmutation M184V.

Abb. 1 Studie 011 Islatravir/Doravirin bei therapienaiven Menschen mit HIV
Abb. 1 Studie 011 Islatravir/Doravirin bei therapienaiven Menschen mit HIV


Abb. 2 Studie 011. Virologische Wirksamkeit verschiedener Dosierungen von Islatravir. FDA-Snapshot zu Woche 48
Abb. 2 Studie 011. Virologische Wirksamkeit verschiedener Dosierungen von Islatravir. FDA-Snapshot zu Woche 48Correll TA et al., Glasgow 2022

Rückblick

ISL wurde in der P-011 Studie in Dosierungen von 0,25, 0,75 und 2,25 mg bei Therapie-naiven Erwachsenen verabreicht. Die virologische Wirksamkeit war einem 3er-Schema von Doravirin/3TC/TDF vergleichbar (bis Woche 144). Kein Teilnehmer erfüllte bis Woche 144 die Kriterien für eine klinisch signifikante bestätigte Virämie (HIV-1-RNA ≥200 Kopien/ml). Für die verschiedenen ISL-Dosisgruppen wurden Unterschiede in den Veränderungen der Gesamtzahl der Lymphozyten und CD4+-T-Zellen gegenüber dem Ausgangswert beobachtet. Diese Beobachtung in Zusammenschau mit Beobachtungen von Lymphozyten-Reduktionen in PrEP-Studien führten zu den im Dezember 2021 verfügten Vorsichtsmaßnahmen.

Probanden, die Islatravir im Rahmen der PrEP-Studien erhielten, einschließlich oraler, injizierbarer und implantierbarer Formulierungen zur Behandlung und Prophylaxe, erhielten das Prüfpräparat nicht mehr. Probanden der DOR/ISL-Studien, die mit einer Behandlung begonnen hatten, erhielten weiterhin das Prüfpräparat, jedoch nun unter wesentlich genauerer Beobachtung der Lymphozytenzahlen und der CD4 Zellen.

Dosis-Problem?

Eine umfassende Sicherheitsbewertung von DOR und ISL als Monoeinheiten hatte keine besorgniserregenden Toxizitäten ergeben. Es ergaben sich keine klinisch relevanten Bedenken, die eine fortgesetzte Verabreichung von DOR/ISL an Teilnehmerinnen ausschließen würden. Der Sponsor der ISL-Studien hat eine umfassende Untersuchung der ISL-bedingten Abnahme der Lymphozytenzahl durchgeführt, um mögliche Wirkmechanismen zu identifizieren und den Zeitpunkt und das Ausmaß der Abnahme der Lymphozyten während der Behandlung mit ISL und die Erholung der Lymphozytenzahl nach Beendigung der Behandlung mit zu beurteilen ISL. Untersuchungen zu möglichen Mechanismen der Lymphozytenabnahme stützen wohl die Schlussfolgerung, dass die bevorzugte Akkumulation von ISL-Triphosphat in Lymphozyten zu einer Hemmung des Zellwachstums und zur Apoptose führen kann. Eine mitochondrialen Toxizität trägt jedoch wohl nicht zur Abnahme der Lymphozyten bei.

Bei Patienten, die DOR/ISL 100 mg/ 0,75 mg QD erhielten, nahmen die Gesamtlymphozytenzahlen bis maximal -10%, die CD4+-T-Zellen bis ca. -0,7% und die CD8 Zellen bis -8% ab und erreichten zwischen Wochen 48 und 72 den niedrigsten Wert. Dann trat eine Stabilisierung der Werte auf. Bei Patienten, die die Medikation wechselten oder beendeten wurde eine Reversibilität des Effekts berichtet.

Die Auswertung der Daten aus den bisherigen klinischen ISL-Programmen deuten darauf hin, dass die Abnahme der mittleren Gesamtlymphozytenzahl und der Anzahl der Lymphozytenuntergruppen von der ISL-Dosis abhängig ist, wobei niedrigere Dosen weniger wahrscheinlich zu Abnahmen führen. Es wird nun also eine neue Fixdosis von DOR/ISL mit 100 mg/0,25 mg vorgeschlagen. Dies wird aus der post-hoc Auswertung der Dosisfindungsstudie gestützt.

Kommentar Prof. Dr. med. Johannes Bogner, München

Prof. Dr. med. Johannes Bogner Klinik und Poliklinik IV Klinikum der Universität München
Prof. Dr. med. Johannes Bogner Klinik und Poliklinik IV Klinikum der Universität München

Unser Studienzentrum nimmt an zwei Studien teil, in denen Islatravir eingesetzt wird. Wir haben also seit etwa zwei Jahren Erfahrung mit der Substanz. Da es sich bei beiden Studien um doppelblinde randomisierte Studien handelt, wussten wir nicht, welche unserer Patienten mit Islatravir behandelt wurden. Bei einem Fall kam es zum Studienabbruch wegen eines Rückgangs der Lymphozytenzahl. Nach der Entblindung stellte sich jedoch heraus, dass es sich um das Vergleichspräparat handelte.

Angenommener Anstieg der CD4-Zellen unter Islatravir 0,25 mg/d im Vergleich zur Standard-ART
Angenommener Anstieg der CD4-Zellen unter Islatravir 0,25 mg/d im Vergleich zur Standard-ARTVargo R et al., Glasgow

Bislang liefen beide Studien aus meiner Sicht gut und erfolgreich. Die subjektive Verträglichkeit wie auch die Wirkung auf die Viruslast schätze ich als günstig ein. Das Therapieziel der nicht nachweisbaren Viruslast wurde erreicht.

Der lange Atem des Sponsors und die Gründlichkeit im Umgang mit der Warnmeldung ist bewundernswert und wurde nun belohnt: Das Entwicklungsprogramm von ISL kann mit einer niedrigeren Dosis fortgesetzt werden. Die ursprüngliche Angst, dass es zu einem vorzeitigen Ende der Entwicklung dieses wichtigen Medikaments kommen könnte, ist nun zunächst behoben.

Als Quintessenz könnte man nun darauf hinweisen, dass der Atem bei der Beurteilung der Dosisfindungs-Daten umso länger sein muss, je stärker ein hoch effektives Nukleosid intrazellulär akkumulieren kann. Im
Interesse aller Patient*innen, die zukünftig zu therapieren sind, ist es sehr zu begrüßen, dass die ISL-Entwicklung nun weitergeht.

Ausgabe 4 - 2022Back

Meldungen

  • Leberkrebs

    21. Oktober 2024: Immun-Typen können Therapieerfolg beeinflussen weiter

  • MERS

    21. Oktober 2024: Impfstoff in Phase Ib sicher und wirksam weiter

  • Impfung

    19. Oktober 2024: Paul-Ehrlich-Institut wertet Nebenwirkungen von 100 Millionen Impfungen aus weiter

  • Virologie

    16. Oktober 2024: Neues Hochsicherheitslabor für die Marburger Virologie weiter

  • KRINKO

    14. Oktober 2024: Bundesgesundheits­ministerium beruft neue Kommission weiter

  • Newletter online

    Jeden Monat akutelle Informationen rund ums Thema HIV und sexuell übertragbare Erkrankungen.

    Für Ärzt_innen, Menschen mit HIV und alle Interessierten.

    Anmeldung hier

  • MPOX

    14. Oktober 2024: Impfschutz nur für wenige Monate? weiter

  • DoxyPEP

    14. Oktober 2024: Je mehr Doxy umso mehr Tetrazyklin-Resistenz weiter

  • RSV

    09. Oktober 2024: Krankenkassen zahlen RSV-Impfung für ältere Erwachsene weiter

  • Influenza

    09. Oktober 2024: CDC: Aktuelle Vakzine verhindert ein Drittel der Krankenhauseinweisungen weiter

  • Salmonellen

    06. Oktober 2024: Ausbruch vermutlich durch kontaminierten Rucola weiter

  • Vogelgrippe

    06. Oktober 2024: Übertragung bei Kühen nicht respiratorisch weiter

  • HIV-PrEP

    04. Oktober 2024: Gilead schließt Lizenzvereinbarungen zu Lenacapavir. weiter

  • COVID-19

    23. September 2024: Neue Variante XEC weiter

  • PrEP

    17. September 2024: Lenacapavir senkt HIV-Risiko bei MSM um 96%. weiter

  • HIV

    09. September 2024: Krebsrisiko nach Organtransplantation weiter

Ältere Meldungen weiter

Diese Website bietet aktuelle Informationen zu HIV/Aids sowie zur HIV/HCV-Koinfektion. Im Mittelpunkt stehen HIV-Test, Symptome und Auswirkungen der HIV-Infektion, Behandlung der HIV-Infektion, HIV-Medikamente mit Nebenwirkungen und Komplikationen, Aids, Hepatitis B und C. Ein Verzeichnis der Ärzte mit Schwerpunkt HIV ergänzt das Angebot.