Marcus Hentrich, München
Anti-Tumortherapie und HIV

Bei der Behandlung von Tumoren müssen bei Personen mit HIV verschiedene Aspekte beachtet werden, insbesondere Interaktionen mit der ART und prophylaktische Maßnahmen je nach Immunschwäche.

Das Lebenszeitrisiko für eine Krebserkrankung ist bei Personen mit HIV (PLWH) erhöht. Nicht-AIDS-definierende Malignome wie das Prostatakarzinom, Lungenkrebs, Leberzellkarzinome oder das Analkarzinom werden inzwischen häufiger diagnostiziert als aggressive Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) oder Kaposi-Sarkome. Die Häufigkeitsverteilung nähert sich somit zunehmend dem Bild bei Personen ohne HIV an, wo Prostatakarzinome und Lungenkarzinome bei Männern sowie Brustkrebs und Kolonkarzinome bei Frauen seit langem an erster Stelle stehen.

Einer Projektion der HIV/AIDS-Cancer Match Study zufolge, die mehr als 460.000 PLWH umfasst, werden NHL im Jahre 2030 nur noch das fünfthäufigste Malignom sein, nachdem sie 2010 mit deutlichem Abstand noch an erster Stelle standen.1 Hauptgründe hierfür sind das zunehmende Alter und die deutlich stabilere Immunsituation von PLWH.

Auf folgende Aspekte sollte in der täglichen Praxis bei einer antineoplastischen Therapie geachtet werden:

PET-CT: Patient mit Bronchial- karzinom mit hepatischer und ossärer Metastasierung
PET-CT: Patient mit Bronchial- karzinom mit hepatischer und ossärer Metastasierung

ART, CD4-Zahl und Viruslast

Während der Antitumor-Therapie ist eine Fortführung der ART unbedingt angeraten, gegebenenfalls in optimierter Form. Sofern der Patient ART-naiv ist, sollte vor oder auch mit Start der antineoplastischen Behandlung eine ART begonnen werden. In zahlreichen Arbeiten konnte ein signifikanter und hoch relevanter Überlebensvorteil gezeigt werden, wenn Patienten während der Chemo- oder Strahlentherapie eine moderne kombinierte ART erhalten haben. Dies gilt besonders für Virus-assoziierte Malignome wie maligne Lymphome, Kaposi-Sarkome oder Analkarzinome.2-4 Unter ART ist die Verträglichkeit der antineoplastischen Therapie verbessert, die Immunrekonstitution verläuft nach Ende der Therapie deutlich schneller und vor allem sind die Ansprech- und Überlebensraten höher, wenn eine ART parallel zur antineoplastischen Therapie eingenommen wird. Die Zahl der CD4-Zellen fällt unter einer Chemotherapie meist ab, erholt sich jedoch wenige Monate nach Ende der Therapie wieder. Hingegen fällt die HIV-Viruslast unter der Antitumor-Therapie kaum ab, wenn die ART beibehalten wird.

Interaktionen mit ART

HIV-druginteractions.org

HIV Drug Interactions

Eine sehr hilfreiche und einfach zu bedienende Online-Plattform zur Ermittlung von pharmakologischen Interaktionen ist der „Interaction Checker“ der Universität Liverpool. Unter www.HIV-druginteractions.org können die entsprechenden Substanzen schnell und unkompliziert angeklickt werden.

Sehr wichtig ist es, auf pharmakologische Interaktionen zwischen antineoplastischen und antiretroviralen Substanzen zu achten, da die Toxizität der Therapie durch den gleichzeitigen Einsatz zum Teil erheblich verstärkt werden kann. Insbesondere unter Therapie mit Ritonavir- oder Cobicistat-geboosterten Proteaseinhibitoren (PI) kann es bei gleichzeitiger Gabe von Vinca-Alkaloiden wie Vincristin (Bestandteil des CHOP-Protokolls bei aggressiven Lymphomen; O=Oncovin) oder Vinblastin (V im ABVD-Protokoll – Standard in der Therapie des Hodgkin Lymphoms) zur Verstärkung der Neurotoxizität (schwere Polyneuropathie, paralytischer Ileus) sowie Hämatotoxizität (schwere Knochenmarkaplasien) kommen. Auch die Kombination von Anthrazyklinen wie Doxorubicin oder Epirubicin mit geboosterten PI sollte vermieden werden. Doxorubicin ist Bestandteil sowohl des CHOP- (H=Hydroxydaunorubicin=Doxorubicin) wie des ABVD-Protokolls (A=Adriamycin=Doxorubicin). Einige antiretrovirale Substanzen und vor allem geboosterte PI sind Inhibitoren von Cytochrom P4503A (CYP3A), einem komplexen System von Monoxygenasen, über das viele zytotoxische Substanzen metabolisiert werden.

In einer retrospektiven Studie aus Italien fanden sich bei Patienten mit Hodgkin- und Non-Hodgkin Lymphomen (NHL) bei gleichzeitigem Einsatz von PI und Chemotherapie nicht nur erhöhte Raten an Hämatotoxizität und peripherer Neuropathie, sondern Patienten mit NHL wiesen auch ein ungünstigeres Überleben auf.5 Auch wenn letzteres in anderen Studien nicht nachvollzogen wurde, besteht an einem erhöhten Toxizitätsrisiko bei simultaner Therapie mit PI kein Zweifel.

Infektions-Prophylaxe

Es gibt keine randomisierten oder vergleichenden Studien zur Infektions-Prophylaxe bei Patienten mit HIV-Malignomen, dennoch sollten im Rahmen einer Chemotherapie einige antiinfektive Prophylaxen unbedingt bedacht und angewandt werden. Obligat ist die Prophylaxe gegen eine Pneumocystis jirovecii Pneumonie (PjP) bei CD4-Zellen < 200/µl, wegen des Abfalls der CD4-Zellen unter einer Chemotherapie gegebenenfalls auch früher. Therapie der Wahl ist Trimethoprim-Sulfamethoxazol 800/160 (Cotrim® forte) 3x 1 Tbl. pro Woche bzw. ½ Tabl. täglich. Bei Cotrim-Unverträglichkeit kann Atovaquone, Dapson oder inhaltatives Pentamidin zum Einsatz kommen.6

Eine primäre antimykotische Prophylaxe kann bei CD4-Zellen <100/µl, prolongierter Neutropenie oder einer Therapie mit HD-Methotrexat/HD-AraC bei ZNS-Lymphomen, die mit einem sehr hohen Mukositis-Risiko verbunden ist, erwogen werden. Therapie der Wahl wäre Fluconazol (200 – 400 mg tgl. p.o.), nur bei intensiver Induktionschemotherapie bei Patienten mit akuter myeloischer Leukämie sollte Posaconazol eingesetzt werden.11

Eine Prophylaxe gegen nicht-tuberkulöse Mykobakterien (NTM) ist nur bei schwerer Immunsuppression (CD4-Zellen <50/µl und persistierender Virämie) angezeigt. Substanz der Wahl ist Azithromycin 1.250 mg 1x pro Woche.8

Eine antibakterielle Prophylaxe mit einem Chinolon (z.B. Ciprofloxacin 2x 500 mg tgl.) sollte besonderen Situationen vorbehalten sein wie der Gabe einer intensiven Chemotherapie mit prolongierter Neutropenie (>7 Tage) oder bei Vorliegen individueller Risikofaktoren (höheres Alter, Knochenmarkinsuffizienz, Auftreten von neutropenem Fieber nach dem ersten Zyklus Chemotherapie). Durch eine Chinolon-Prophylaxe kann das Risiko für Fieber oder bakterielle Infektionen reduziert werden, ein Einfluss auf die Mortalität wurde in randomisierten Studien bei nicht HIV-Infizierten bisher nicht gezeigt.6,7

Bei rezidivierenden Herpes-Simplex (HSV) oder Varizella-Zoster Virus (VZV)-Infektionen oder anderen Risikofaktoren für eine Virusreaktivierung, z.B. Therapie mit Proteasom-Inhibitoren, ist eine Sekundärprophylaxe mit Aciclovir (1-2 tgl. 400 mg p.o.) sinnvoll. Für eine generelle Prophylaxe gegen HSV oder VZV gibt es keine gute Grundlage.9,10

Supportive Therapie

Der Einsatz von G-CSF ist gerechtfertigt, wenn das Risiko für die Entwicklung einer therapiebedingten febrilen Neutropenie >20% beträgt.12 Das Risiko hängt vor allem von der Intensität bzw. Myelotoxizität der Chemotherapie ab. Sofern weitere individuelle Risikofaktoren vorliegen (wie z.B. Alter >65 Jahre, niedriger Perfomance-Status, Komorbiditäten, weit fortgeschrittene Tumorerkrankung, etc.) kann die Gabe von G-CSF auch bei einem Risiko für eine febrile Neutropenie von 10%-20% sinnvoll sein.

Eine konsequente an Leitlinien orientierte antiemetische Prophylaxe ist für den Erhalt der Lebensqualität der Patienten unabdingbar. Die Wahl der antiemetischen Substanzen richtet sich nach der Emetogenität der Chemotherapie.13,14

Koinfektion HIV/HBV

Liegt eine Koinfektion mit dem Hepatitis B Virus (HBV) vor, ist wegen Gefahr letaler hepatischer Komplikationen (Leberversagen) bei jeglicher Form von Chemotherapie, vor allem aber bei Gabe von gegen CD20 gerichteten Antikörpern wie Rituximab oder Obinutuzumab eine Therapie mit Tenofovir oder Entecavir unabdingbar. Die Therapie ist obligat bei HBsAg Positivität bzw. Nachweis von HBV-DNA. Sind Patienten HBsAg- oder HBV-DNA negativ, aber Anti-HBc positiv, sollte eine Therapie mit Tenofovir oder Entecavir ebenfalls eingenommen werden. Ein Verzicht ist in diesen Fällen nur vertretbar, wenn regelmäßige PCR-Verlaufskontrollen erfolgen.15,16

Koinfektion HIV/HCV

Auch bei einer HCV-Infektion ist das hepatische Risiko unter Chemotherapie erhöht, allerdings weitaus geringer als bei einer HBV-Infektion. Der Start einer antiviralen Therapie mit modernen gegen HCV gerichteten antiviralen Substanzen (direct acting antivirals, DAA) kann nach Ende der Chemotherapie erfolgen. Bei simultaner ART, DAA und Chemotherapie muss unbedingt auf Interaktionen geachtet werden.15,17

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