23. Fachtagung Hiv und Schwangerschaft in Oberursel
HIV & Schwangerschaft: Datenlücken früher schließen!


© Lasse, sechs Jahre
© Lasse, sechs Jahre

Am 2./3. Juni 2023 fand in Oberursel die 23. Fachtagung HIV und Schwangerschaft statt. Die wissenschaftlichen Beiträge zeigten die jüngsten Fortschritte in der Prävention der vertikalen HIV-Transmission auf, machten aber gleichzeitig auch auf Datenlücken aufmerksam, die bei der Betreuung von schwangeren und stillenden Frauen sowie bei Kindern, die mit HIV leben, nach wie vor bestehen.

In seinem Übersichtsvortrag zur HIV-Therapie und -Prävention stellte Dr. Björn Jensen (Düsseldorf) die Bedeutung des frühen Therapiebeginns heraus. Das bestätigten auch noch einmal die im Februar dieses Jahres im NEJM publizierten Langzeitdaten der START-Studie. Nach mehr als fünf Jahren zeigten sich immer noch signifikante Unterschiede zwischen den beiden Studienarmen – sofortiger versus verzögerter Therapiebeginn. Bei frühem ART-Beginn war das immunologische Ansprechen über den gesamten Beobachtungszeitraum besser; HIV und nicht HIV bedingte Morbidität und Mortalität waren weniger häufig. Voraussetzung für einen frühen ART-Beginn ist eine rechtzeitige Diagnosestellung. Leider hat sich in Deutschland die Rate der HIV-Erstdiagnosen bei bereits fortgeschrittenem Immundefekt in den letzten Jahren nicht verändert. Sie lag im Jahr 2020 immer noch bei 35%. Risikofaktoren für eine späte HIV-Diagnose sind Migration, weibliches Geschlecht, höheres Lebensalter und heterosexueller Infektionsweg. Weibliches Geschlecht ist in Deutschland wahrscheinlich auch hinsichtlich der Verordnung einer HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) ein Nachteil. Zumindest waren in der NEPOS Studie von 4.620 PrEP-Usern nur 0,8% Frauen. In Oberursel wurde kontrovers diskutiert, wie man potenzielle PrEP-Nutzerinnen besser erreichen könnte.

ART: Werden Frauen anders behandelt?

Svenja Spitzer (Frankfurt) stellte eine erste Auswertung der DONNA Studie vor. DONNA untersuchte am HIVCENTER des Universitätsklinikums Frankfurt die ART-Regime 18-50 jähriger Patient*innen im Zeitraum Januar 2012 bis Dezember 2022. Dabei zeigten sich sowohl beim Einsatz der unterschiedlichen Substanzklassen als auch beim Einsatz einzelner HIV-Medikamente signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Neue Medikamente kamen bei Frauen später zum Einsatz. Auch die Therapieregime schwangerer und nicht schwangerer Frauen unterschieden sich. Bei 30% der 252 im Beobachtungszeitraum dokumentierten Schwangerschaften fand zudem ein Therapiewechsel statt, obwohl dies entsprechend Leitlinienempfehlungen möglichst vermieden werden sollte. Die Unterschiede in den ART-
Regimen sind am ehesten den Datenlücken bei Zulassung neuer Substanzen geschuldet. Es fehlen in der Regel ausreichende Daten zu Frauen im gebärfähigen Alter bzw. zum Einsatz der Medikamente in der Schwangerschaft. Dies betonte auch Prof. Catriona Waitt (Liverpool) in ihrem Vortrag „Newer HIV drugs during pregnancy and breastfeeding“. So würden pharmakokinetische Daten zum Einsatz in der Schwangerschaft im Median erst sechs Jahre nach Zulassung eines Medikaments und Daten zur Stillperiode sogar erst zehn Jahre danach publiziert werden. Andererseits erfolge derzeit ein Paradigmenwechsel, der zunehmend auch Studien mit schwangeren und stillenden Teilnehmerinnen ermöglicht. Ein Katalysator hierfür war sicherlich die Tsepamo Studie und die Diskussion über den Einsatz von Dolutegravir (DTG) bei jungen Frauen. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Rate von Neuralrohrdefekten (NTD) bei Kindern von Frauen, die unter DTG schwanger wurden, im Vergleich mit anderen antiretroviralen Medikamenten bei Konzeption nicht erhöht ist. Im Jahr 2022 ergab eine Auswertung von mehr als 14.000 Schwangerschaften mit Konzeption unter DTG eine NTD-Rate von 0,08%. Dies entspricht der Rate bei Schwangerschaften mit Konzeption unter anderen HIV-Medikamenten. Auch zu Schwangerschaften unter Cabotegravir gibt es inzwischen Daten. In der Präventionsstudie HPTN084 wurden bislang 29 Schwangerschaften beschrieben, bislang ohne Hinweis auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Zur PrEP mit TDF/FTC gab es eine Auswertung auf der diesjährigen CROI. Auch hier fand sich kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko. Catriona Waitt stellte auch einige laufende Studien vor: In der DoraDO Studie wird der Einsatz von Doravirin ab dem 2. Trimester der Schwangerschaft untersucht. In der PedMAb_PREVENTION werden breit neutralisierende Antikörper eingesetzt, um eine HIV-Transmission während der Stillperiode zu verhindern. Prof. Waitt stellte auch experimentelle prädiktive Modelle vor, die durch Simulationen und Berechnungen Studien mit Schwangeren zukünftig teilweise ersetzen bzw. ergänzen könnten. Letztlich brauche es zur schnelleren Schließung von Datenlücken bei Frauen aber vor allem mehr Vernetzung von akademischen Zentren mit Industrie, Community, Ethikkommissionen und Behörden.

Oberursel 2023: Gruppenfoto © Carolynne Schwarze-Zander
Oberursel 2023: Gruppenfoto © Carolynne Schwarze-Zander

Stillen: Was tun beim Blip?

Für die Arbeitsgruppe WAVE (Women Against Viruses in Europe) der Europäischen AIDS-Gesellschaft stellte Dr. Amy Keane (Dublin) die Ergebnisse einer INSURE (HIV aNd BreaStfeeding in EURopE) Umfrage vor. Dabei ging es um die aktuellen länderspezifischen Empfehlungen zum Stillen in Europa. Antworten aus insgesamt 25 Ländern gingen in die Auswertung ein. Leitlinien zu HIV und Schwangerschaft gibt es in 23/25 Länder und in allen 23 wird auch das Thema Stillen adressiert. In 12/23 Länder wird Müttern mit HIV ein Stillverzicht empfohlen. 11/23 definieren bestimmte Bedingungen für das Stillen und aktuell empfiehlt kein einziges Land generell allen Müttern, die mit HIV leben, zu stillen. Hauptkriterium für das Stillen ist die vollständig supprimierte mütterliche Viruslast. Allerdings unterscheiden sich im europäischen Vergleich die weiteren Bedingungen, die an das Stillen geknüpft werden ebenso wie das Management der Mütter und ihrer Kinder. Es fehlen einfach noch Erfahrungen und Daten zum Stillen mit HIV in Europa. Dementsprechend wünscht sich die Mehrzahl der Befragten ein europäisches Netzwerk zum Erfahrungsaustausch und zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit. WAVE organisiert inzwischen regelmäßige virtuelle Treffen, die für alle Interessierten offen sind. Dr. Lila Haberl (Düsseldorf) stellte die von ihr betreute LinkedIn Plattform vor und lud zum nächsten Jour Fixe ein, der am 27. September 2023 um 18 Uhr stattfindet.

Dr. Amy Keane stellt eine Umfrage zum Stillen vor © Carolynne Schwarze-Zander
Dr. Amy Keane stellt eine Umfrage zum Stillen vor
© Carolynne Schwarze-Zander

Prof. Nina Weis (Kopenhagen) stellte einen Fall vor, bei dem es während der Stillperiode zu einem mütterlichen Viruslastanstieg kam. Zum Vorgehen in einem solchen Fall gibt es in den meisten Leitlinien keine konkreten Empfehlungen. Nina Weis hat sich nach dem bestätigten Viruslastanstieg gemeinsam mit ihrem Kollegen aus der Pädiatrie für ein sofortiges Abstillen und das Ansetzen einer Neo-PEP entschieden. Da die abrupte Umstellung auf Flaschennahrung beim Säugling zu Problemen führte, mussten Mutter und Kind stationär aufgenommen werden. Bei der nächsten Kontrolle lag die mütterliche Viruslast wieder unter der Nachweisgrenze. Das Stillen wurde nicht wieder aufgenommen. Ein Ergebnis der lebhaften Falldiskussion war der Wunsch nach möglichst konkreten Empfehlungen zum Stillmonitoring und zum Umgang mit potenziellen Risikosituationen wie dem Auftreten von Blips.

Was machen die Kinder?

Dr. Ulrich Marcus vom RKI (Berlin) gab auch in diesem Jahr wieder ein Update zu den vertikalen HIV-Transmissionen in Deutschland und zog dabei eine insgesamt positive Bilanz. Die geschätzte HIV-Testrate in der Schwangerschaft liegt bei über 90%, die vertikale Transmissionsrate bei unter 1%. Dennoch kommt es in Einzelfällen immer noch zu Übertragungen. Die Gründe hierfür sind die fehlende HIV-Testung der Schwangeren, eine unzureichende Prophylaxe und Kommunikationsprobleme. 2022 wurden dem RKI 88 HIV-Erstdiagnosen bei Kindern gemeldet. Davon entfielen allein 59 auf Kinder aus der Ukraine, bei denen die HIV-Diagnose in den meisten Fällen schon bekannt war und die dementsprechend auch bereits eine Therapie erhielten. Weitere elf Kinder stammten aus afrikanischen HIV Hochprävalenzländern.

Robert Koch Institute

HIV-Übertragungen pro 100.000 Geburten in Deutschland, 2001 - 2022 © Dr. Ulrich Marcus, RKI
HIV-Übertragungen pro 100.000 Geburten in Deutschland, 2001 - 2022 © Dr. Ulrich Marcus, RKI

Die Betreuung der ukrainischen Kinder stellt die pädiatrischen Zentren in Deutschland vor große Herausforderungen. Erfahrungen aus der Kinderklinik der Charité schilderte Dr. Cornelia Feiterna-Sperling (Berlin). Vor Kriegsbeginn lebten in der Ukraine geschätzt 2.700 Kinder und Jugendliche mit HIV. Wie viele von ihnen bislang in Deutschland angekommen sind, lässt sich nicht genau sagen. Fest steht allerdings, dass bei denen, die sich bei uns vorstellen, neben den medizinischen Herausforderungen wie ART-Umstellungen, Behandlung von Komorbiditäten und Durchführung von Impfungen vor allem psychosoziale Themen im klinischen Alltag zeitaufwendig sind. Unterstützung können sie in der Charité in einer speziellen Kindergruppe bekommen. Das Projekt wurde in Oberursel von Hannah Bethke (Berlin) vorgestellt, die die Gruppe leitet. Auch Sibyl Peemöller (Hamburg) von VHIVA KIDS Hamburg stellte ein erfolgreiches Beratungsangebot zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen vor.

Eine Übersicht zum Thema HIV exposed uninfected children (HEU) stellte Prof. Ellen Moseholm (Kopenhagen) vor. Weltweit wird die Zahl der HIV exponierten nicht infizierten Kinder auf 15 Millionen geschätzt. Ihre Zahl wird weiter steigen, da davon auszugehen ist, dass sich der Zugang zur HIV-Therapie für Schwangere weiter verbessern wird. Im Vergleich von HEU mit nicht HIV exponierten Kindern zeigen sich Unterschiede hinsichtlich Morbidität und Mortalität im frühen Kindesalter sowie der weiteren körperlichen und psychischen Entwicklung. Da sich HEU nicht nur bezüglich ihrer HIV Exposition, sondern auch in zahlreichen anderen Punkten von nicht HIV exponierten Kindern unterscheiden, konnten die Gründe für die beschriebenen Nachteile der HEU bislang nicht eindeutig identifiziert werden.

Hepatitis und Schwangerschaft: Was ist neu?

Der Therapie und Prävention von Virushepatitiden in der Schwangerschaft widmete sich der Vortrag von Dr. Kathrin van Bremen (Bonn). Im April 2023 wurde in der Mutterschaftsrichtlinie die Empfehlung zur Hepatitis B Testung geändert. Wurden Schwangere bislang zwischen der 32. und 40. Woche getestet, soll dies jetzt möglichst frühzeitig erfolgen, um durch eine Therapie der Schwangeren die Übertragung auf das Kind während der Schwangerschaft verhindern zu können. Bei Hep-B negativen, nicht geimpften Schwangeren sollte bei entsprechendem Risiko eine Hepatitis B-Impfung erfolgen.

Bei der Hepatitis C wird weiterhin kein generelles Screening in der Schwangerschaft empfohlen. Die DAA´s für die Hepatitis C Therapie werden noch nicht in der Schwangerschaft empfohlen. Es fehlen hier ausreichende Daten. Das Gleiche gilt für die Hepatitis D Therapie mit Bulevirtid.

Update Schwangerschaftsregister

Eine Auswertung der Daten des Deutschen HIV-Schwangerschaftsregisters für den Zeitraum 01. Januar 2012 - 17.03.2023 wurde von Dr. Annette Haberl (Frankfurt) vorgestellt. Im genannten Zeitraum gingen 2.721 Dokumentationsbögen ein. Zu 1.293 Kindern lagen Angaben zum HIV-Status vor. Es kam in zehn Fällen zu einer vertikalen HIV-Transmission, entsprechend einer Rate von 0,8%. Die letzte Übertragung wurde im März 2018 dokumentiert. Bei 84% der Schwangeren lag die Viruslast zur Geburt des Kindes unter der Nachweisgrenze von 50 Kopien/ml. Im Beobachtungszeitraum kam es zu signifikanten Veränderungen der mütterlichen ART, sowohl hinsichtlich der eingesetzten Substanzklassen als auch bei Einzelsubstanzen. Insgesamt lässt sich bei der mütterlichen ART ein Trend hin zum Einsatz neuerer Medikamente beobachten. Die Spontangeburt war in der aktuellen Auswertung erstmals der häufigste Geburtsmodus bei Frauen mit HIV, die in Deutschland entbinden. Die Stillrate lag bei 7,5%.

Anmeldungen für eine Teilnahme am HIV-Schwangerschaftsregister: daig@daignet.de.

Die Fachtagung HIV und Schwangerschaft wird vom HIVCENTER des Universitätsklinikums Frankfurt ausgerichtet und wurde in diesem Jahr von den Firmen Gilead, MSD, Janssen und ViiV Healthcare unterstützt.

Die nächste Tagung HIV und Schwangerschaft findet am 7./8. Juni 2024 in Oberursel statt.

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