Ulrich Seybold, München
Meningokokken-Impfung gegen Tripper?

Noch gibt es keine Impfung gegen Gonokokken, aber bestimmte Meningokokken-Vakzine scheinen im Sinn einer Kreuzprotektion in gewissem Maß auch vor Gonorrhoen zu schützen.

Während inzwischen gegen Meningokokken der fünf Serogruppen A, C, W, Y (MenACWY) und B (MenB) wirksame Impfungen verfügbar sind, existiert bislang kein Vakzin gegen die auch in Deutschland zunehmenden Infektionen durch Gonokokken. Allerdings hat sich in den letzten Jahren eine gewisse Kreuzprotektion bzgl. Gonokokken durch bestimmte Meningokokken-Impfstoffe gezeigt, von denen einer auch in Deutschland verfügbar ist.

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Neuseeländischer OMV-Meningokokken-Impfstoff: Schutz gegen Gonorrhoe

Erste Hinweise fanden sich bei der Auswertung der Daten einer Massenimpfkampagne, die 2004–2008 in Neuseeland mit einem gegen MenB gerichteten Outer Membrane Vesicle (OMV)-Impfstoff (MeNZB) durchgeführt wurde. Der Impfstoff zeigte bei Patienten von Sexual health clinics eine adjustierte Vakzineffektivität (VE) von 31% bezüglich Gonokokkeninfektionen.1 Die Auswertung von Daten einer Gesamtkohorte junger Erwachsener zeigte für die OMV-MenB-Impfung eine VE bzgl. einer Gonokokken-assoziierten Hospitalisation von immerhin noch 24%.2

Kreuzimmunogenität von Meningokokken-Impfstoffen mit Gonokokken

Anders als in Neuseeland, wo ausschließlich ein auf OMV basierter Impfstoff eingesetzt wurde, ist in Deutschland ein 4-Komponenten MenB-Impfstoff (4CMenB, Bexsero®) verfügbar, der neben OMV auch weitere Impfantigene enthält. Die potentielle Wirksamkeit dieser Antigene wurde anhand bioinformatischer Strukturanalysen sowie der Antikörper-Antworten im Kaninchenmodell und bei geimpften Personen untersucht.3 Für zwei Impfantigene, nämlich Neisseria Heparin bindendes Antigen (NHBA) und Faktor H bindendes Protein (fHbP) wurde eine strukturelle Identität von >60% zu den entsprechenden Gonokokken-Proteinen festgestellt, für die im Impfstoff an NHBA und fHbP fusionierten Proteine GNA1030 und GNA2019 sogar von >90%. Neben Antworten auf diese beiden Antigene sowie OMV wurden durch 4CMenB Gonokokken-wirksame Antikörper vor allem durch die NHBA-Komponente induziert. 4CMenB könnte also effektiver vor Gonokokken schützen als MeNZB. Die genauen Mechanismen einer Schutzwirkung von 4CMenB im Hinblick auf die Gonorrhoe sind aber nicht vollständig verstanden. Die Daten zu Meningokokken sind hier nicht direkt übertragbar, da Gonokokken im Gegensatz zu invasiven Meningokokken-Erkrankungen vor allem lokal begrenzte Infektionen auslösen.4 In der näheren Zukunft sind Ergebnisse einer bereits abgeschlossen
Studie zur Immunogenität (NCT04094883) zu erwarten, eine weitere Studie zur mukosalen Immunität läuft noch (NCT04722003).

Retrospektive Daten

Impfstoffe gegen Meningokokken

Es gibt insgesamt zwölf verschiedene Untergruppen (Serogruppen) von Meningokokken. Für Meningokokken-Erkrankungen sind zumeist fünf Untergruppen verantwortlich: A, B, C, W135 und Y. Für diese stehen in Deutschland drei Gruppen von Konjugat-Impfstoffen zur Verfügung:

• Serogruppe C: Menjugate® 10 µg, NeisVac-C®
• Serogruppen A, C, W135 und Y: Nimenrix®, Menveo®, MenQuadfi®
• Serogruppe B:Bexsero®, Trumenba®

Die Impfung gegen Meningokokken C (MenC) empfiehlt die STIKO für alle Kinder ab 12 Monaten. Impfungen gegen MenB sind weiter nicht als Standardimpfung empfohlen, obwohl in Deutschland >50% der invasiven Meningokokkenerkrankungen durch MenB verursacht werden. Für Risikopersonen, z.B. PatientInnen mit Immundefizienz, empfiehlt die STIKO die Impfung gegen MenB und MenACWY.

In Südaustralien wurde 2018 ein 4CMenB-Impfprogramm für Kleinkinder (0-3 Jahre) und 2019 für Jugendliche und junge Erwachsene (15-20 Jahre) etabliert. Nach zwei Jahren wurde neben dem Einfluss auf MenB-assoziierte Erkrankungen auch der Effekt auf die Gonorrhoe untersucht.5 Die Impfquoten für eine Dosis bzw. zwei Dosen 4CMenB lagen für den Geburtsjahrgang 2003 nach 2 Jahren bei 77% bzw. 69%. In der Fall-Kontroll-Analyse mit Altersgleichen Fällen von Chlamydien-Infektionen ergab sich für die zweimalige 4CMenB-Impfung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine geschätzte VE gegen Gonorrhoe von 32,7% (95% CI 8,3-50,6%).

Eine erneute Analyse drei Jahre nach Einführung des Programms bestätigte den Effekt mit einer Gesamt-VE gegen Gonorrhoe von 33,2% (95% CI 15,9-47,0%), zeigte aber ein Nachlassen der Schutzwirkung über die Zeit mit einer VE von 23,2% >36 Monate nach der Impfung vs. 34,9% zwischen Monat 6 und 36.6 Eine höhere VE zeigte sich nach Ausschluss von Personen mit wiederholten Gonorrhoe-Episoden (VE 37,3%), eine Koinfektion mit Chlamydien schwächte die VE nicht ab (VE 44,7%).

Eine weitere retrospektive Analyse der 4CMenB-VE gegen Gonorrhoe erfolgte anhand der Daten von 109.737 16- bis 23-Jährigen in New York City und Philadelphia zwischen 2016 und 2018.7 Die VE einer 2-Dosen-Serie wurde hier mit 40%, die einer Einzeldosis 4CMenB mit 26% errechnet.

Zwischen 2016 und 2021 wurden in Mailand Daten von 1.051 Menschen, die mit HIV leben und eine weitere sexuell übertragbare Erkrankung in der Vorgeschichte hatten, ausgewertet.8 Von diesen hatten 349 Personen (33%) zwei Impfungen 4CMenB erhalten. Die VE bzgl. Gonorrhoe errechnete sich hier mit 42% (95% CI 6-64%). Der
Effekt blieb auch nach Adjustierung für wichtige Kovariaten bestehen (aVE 44%).

Bias Risikoverhalten?

In der wissenschaftlichen Diskussion dieser Daten aus Beobachtungsstudien wird immer wieder der Healthy vaccinee bias aufgeführt. Dieser Begriff bezeichnet ein möglicherweise unterschiedliches Expositions-/Risikoverhalten von geimpften (eher risikovermeidenden?) und ungeimpften (eher risikobereiten?) Personen, was zur (falschen) Annahme einer Schutzwirkung der Impfung führen könnte. Daher erfolgte eine weitere Analyse der Daten von 96.235 16- bis 23-Jährigen in New York City und Philadelphia zwischen 2016 und 2018, diesmal aber bezüglich der Gonorrhoe-VE durch die Impfung mit dem zweiten auch in Deutschland verfügbaren MenB-Impfstoff, der als Impfantigen nur fHbP beinhaltet (MenB-fHbp, Trumenba®).9 Hier zeigte sich kein Schutz vor Gonorrhoe, woraus die Autoren auch schließen, dass der Healthy vaccinee bias den beobachteten Schutzeffekt von 4CMenB in den Beobachtungsstudien1,2,5-8 nicht erklärt.

Prospektive Daten

Aktuell sind mehrere Studien aktiv bzw. geplant: Die australische open-label MenGO Studie10, die seit 2021 in Australien laufende doppelblind-randomisierte Phase-III GoGoVax-Studie (NCT04415424), eine seit 2023 in Hong Kong laufende doppelblind-randomisierte Phase-III-Studie (NCT05766904) und sogar eine Studie zu experimentellen urethralen Gonokokken-Infektionen (NCT05294588).

Bis die Ergebnisse dieser Untersuchungen verfügbar sind, bleibt die belastbarste Evidenz zur 4CMenB-VE gegen Gonorrhoe die erste prospektive gematchte Kohortenstudie, die zwischen 2016 und 2020 bei Teenagern und jungen Erwachsenen in Südkalifornien durchgeführt wurde.11 Hier wurden 6.641 mit 4CMenB-Geimpfte 1:4 mit 26.471 MenACWY-Geimpften gematcht und bezüglich inzidenter Gonorrhoe beobachtet. Als Negativ-Kontrollen dienten Personen mit Chlamydien-Monoinfektion. Die Inzidenzraten für Gonorrhoe lagen für 4CMenB-Geimpfte bei 2,0/1.000 Personenjahre, für ACWY-Geimpfte bei 5,2/1.000 Personenjahre. In der adjustierten Analyse ergab sich ein Hazard Ratio (HR) von 0,54 (95% CI 0,34-0,86) für 4CMenB-Geimpfte bzgl. Gonorrhoe. Bei Chlamydieninfektionen zeigte sich kein signifikanter Unterschied (HR 0,98, 95% CI 0,82-1,17).

Auch im Hochrisiko-Kontext einer HIV-PrEP bei MSM konnte die noch nicht final publizierte randomisierte
DOXYVAC-Studie aus Frankreich den protektiven Effekt von 4CMenB bzgl. einer ersten Episode von Gonorrhoe bestätigen12: das adjustierte HR lag für Geimpfte bei 0,49 (95% CI 0,27-0,88), bzgl. der kumulativen Inzidenz ergab der Vergleich von 36 4CMenB-geimpften mit 54 ungeimpften MSM ein adjustiertes incidence rate ratio von 0,66 (das mit einem 95% CI von 0,43-1,00, p=0,052 die statistische Signifikanz nur denkbar knapp verfehlte).

Perspektive: Gonokokken-Impfstoff

Die mathematische Modellierung für den Einfluss eines nationalen Impfprogramms mit 4CMenB für 14-Jährige in England unter Annahme einer VE von 31% ergibt das Potential von bis zu 50.000 bzw. 849.000 verhinderten Gonokokken-Erkrankungen über 10 bzw. 70 Jahre, was 25% aller über 70 Jahre heterosexuell übertragenen Infektionen entspricht.13 Dieser Effekt ließe sich durch Nachhol- und Auffrisch-Dosen sogar noch verstärken. Dem gegenüber steht auf individueller Ebene ein eher unbefriedigender Impfschutz durch 4CMenB. Daher besteht weiter der Bedarf für die Entwicklung eines spezifischen Gonokokken-Vakzinkandidaten.

Aktuell wird ein solches Vakzin (NgG) in einer randomisierten, verblindeten, Placebo-kontrollierten Phase I/II Studie an ca. 750 gesunden 18- bis 50-Jährigen in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Brasilien, den Philippinen und Südafrika als Proof-of-Concept untersucht. Das Studienende ist 2025 geplant (NCT05630859). Dieser Vakzinkandidat hat kürzlich die Fast Track Designation der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA erhalten.14 Die bessere Effektivität eines spezifischen Gonokokken-Impfstoffs hätte durch die Senkung der Krankheitslast unter anderem einen relevanten Einfluss auf den Antibiotikaverbrauch und damit auch auf die Entwicklung der ohnehin bereits hochproblematischen Resistenzsituation bei Gonokokken-Infektionen.

Fazit

Auch wenn die individuelle Schutzwirkung gegen Gonorrhoe durch die 4CMenB-Impfung mit ca. 30 bis (>?) 40% eher moderat ausfällt, sollte sie derzeit in die individuelle Nutzenabwägung für die Meningokokken-Impfung miteinbezogen werden. Für den Schutz vor Gonorrhoe spielt die spezifische Wahl des MenB-Impfstoffs tatsächlich eine Rolle, da er nur für den 4CMenB- (Bexsero®), aber nicht den MenB-fHbp-Impfstoff (Trumenba®) gezeigt wurde.

Im Fall von Menschen, die mit einer HIV-Infektion leben, besteht aufgrund des erhöhten Risikos für invasive
Meningokokken-Erkrankungen eine medizinische Indikation (Indikationskategorie „I“ gem. STIKO15, so dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die beiden 4CMenB-Dosen im Mindestabstand von 1 Monat genauso übernehmen wie für die Einzeldosis eines MenACWY-Impfstoffs. Eine konkrete Handlungsanweisung bzgl. weiterer Boosterdosen existiert derzeit nicht16, in Analogie zu MenACWY kann aber gegebenenfalls bei ausgeprägter Immundefizienz (z.B. CD4 <200/µl) eine weitere Dosis nach 5 Jahren erwogen werden.


Abkürzungen

VE – Vakzineffektivität

4CMenB – 4-Komponenten MenB-Impfstoff (Bexsero®)

OMV – Outer Membrane Vesicle

MenACWY – Impfstoff gegen Meningokokken der Serogruppen A, C, W, Y und B


1 Petousis-Harris H, Paynter J, Morgan J, et al. Effectiveness of a group B outer membrane vesicle meningococcal vaccine against gonorrhoea in New Zealand: a retrospective case-control study. Lancet 2017;390:1603-1610. DOI: 10.1016/S0140-6736(17)31449-6

2 Paynter J, Goodyear-Smith F, Morgan J, Saxton P, Black S and Petousis-Harris H. Effectiveness of a Group B Outer Membrane Vesicle Meningococcal Vaccine in Preventing Hospitalization from Gonorrhea in New Zealand: A Retrospective Cohort Study. Vaccines (Basel) 2019;7 DOI: 10.3390/vaccines7010005

3 Semchenko EA, Tan A, Borrow R and Seib KL. The serogroup B meningococcal vaccine Bexsero elicits antibodies to Neisseria gonorrhoeae. Clin Infect Dis 201810.1093/cid/ciy1061

4 La Fauci V, Lo Giudice D, Squeri R and Genovese C. Insight into Prevention of Neisseria Gonorrhoeae: A Short Review. Vaccines (Basel) 2022;10 DOI: 10.3390/vaccines10111949

5 Wang B, Giles L, Andraweera P, et al. Effectiveness and impact of the 4CMenB vaccine against invasive serogroup B meningococcal disease and gonorrhoea in an infant, child, and adolescent programme: an observational cohort and case-control study. Lancet Infect Dis 2022;22:1011-1020. DOI: 10.1016/S1473-3099(21)00754-4

6 Wang B, Giles L, Andraweera P, et al. 4CMenB sustained vaccine effectiveness against invasive meningococcal B disease and gonorrhoea at three years post programme implementation. J Infect 2023 DOI: 10.1016/j.jinf.2023.05.021

7 Abara WE, Bernstein KT, Lewis FMT, et al. Effectiveness of a serogroup B outer membrane vesicle meningococcal vaccine against gonorrhoea: a retrospective observational study. Lancet Infect Dis 2022;22:1021-1029. DOI: 10.1016/S1473-3099(21)00812-4

8 Raccagni AR, Galli L, Spagnuolo V, et al. Meningococcus B Vaccination Effectiveness Against Neisseria gonorrhoeae Infection in People Living With HIV: A Case-Control Study. Sex Transm Dis 2023;50:247-251. DOI: 10.1097/OLQ.0000000000001771

9 Abara WE, Bernstein KT, Lewis FMT, et al. Healthy
Vaccinee Bias and MenB-FHbp Vaccine Effective-
ness Against Gonorrhea. Sex Transm Dis 2023;50:
e8-e10. DOI: 10.1097/OLQ.0000000000001793

10 Thng C, Semchenko EA, Hughes I, O‘Sullivan M and Seib KL. An open-label randomised controlled trial evaluating the efficacy of a meningococcal serogroup B (4CMenB) vaccine on Neisseria gonorrhoeae infection in gay and bisexual men: the MenGO study protocol. BMC Public Health 2023;23:607. DOI: 10.1186/s12889-023-15516-y

11 Bruxvoort KJ, Lewnard JA, Chen LH, et al. Prevention of Neisseria gonorrhoeae With Meningococcal B Vaccine: A Matched Cohort Study in Southern California. Clin Infect Dis 2023;76:e1341-e1349. DOI: 10.1093/cid/ciac436

12 Molina JM. ANRS 174 DOXYVAC: An Open-Label Randomized Trial to Prevent STIs in MSM on PrEP. Oral Abstract OA-3, 30th CROI, Seattle, 19.-22. Februar 2023; verfügbar unter https://www.croiwebcasts.org/p/2023croi/croi/119

13 Looker KJ, Booton R, Begum N, et al. The potential public health impact of adolescent 4CMenB vaccination on Neisseria gonorrhoeae infection in England: a modelling study. BMC Public Health 2023;23:1. DOI: 10.1186/s12889-022-14670-z

14 GSK. GSK receives US FDA Fast Track designation for investigational vaccine against gonorrhoea. Pressemitteilung vom 27. Juni 2023; verfügbar unter https://www.gsk.com/media/10353/s-ea_fda-ftd-gono_230623_final-1.pdf

15 Ständige Impfkommission. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut 2023. Epid Bull 2023;4:3-68. 10.25646/10829

16 Ehl S, Bogdan C, Niehues T, et al. Impfen bei Immundefizienz: Anwendungshinweise zu den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen. (II) Impfen bei 1. Primären Immundefekterkrankungen und 2. HIV-Infektion. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2018;61:1034-1051.

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