Der Brasilianische Patient: Heilung oder Hype?

Virtuel, 07 2020

Auf der (virtuellen) Welt-Aids-Konferenz 2020 gibt es ein erstes Highlight: Ein Brasilianischer Patient, der (nur) mit einer intensivierten ART behandelt wurde, hat nach Absetzen seiner Medikamente nun seit 15 Monaten keine nachweisbare Viruslast und die Antikörper gegen HIV verschwinden. Ist das schon eine Heilung?

Der Mann erhielt im Oktober 2012 sein HIV-positives Testergebnis; seine CD4-Zellzahl zu diesem Zeitpunkt betrug 372 Zellen/µl, seine Viruslast über 20.000/ml – dies deutet auf eine bereits chronische Infektion. Zwei Monate später wurde eine Behandlung mit Efavirenz, AZT/3TC eingeleitet. 2014 wurde AZT durch TDF ersetzt. Im September 2015 wurde er in die SPARC-7-Studie aufgenommen. Zusätzlich zu seiner bisherigen ART erhielt er nun noch Dolutegravir, Maraviroc und Nicotinamid. Nictotinamid wurde gewählt, weil es verschiedene erwünschte Effekte hat: Es bewahrt erschöpfte T-Zellen vor der Apoptose und ist auch ein HDAC-Inhibitor, der möglicherweise verhindert, dass HIV nach der Infektion einer Zelle in ein latentes Stadium eintritt, bzw. bereits latentes HIV reaktivieren kann.

Nach 48 Wochen dieser intensivierten Behandlung erhielt der Patient wieder seine vorherige ART, wobei nach einiger Zeit Efavirenz durch Nevirapin und später Dolutegravir ersetzt wurde. Im März 2019 wurde eine analytische Therapiepause begonnen. Bis heute blieb die Viruslast unter der Nachweisgrenze. Der letzte berichtete Test war am 22.6.2020 – also mindestens 65 Wochen ohne ART. Die Anzahl der CD4-Zellen war während der intensivierten Behandlung stabil, stieg nach Rückkehr zur Standardtherapie an und fiel mit Beginn der Therapiepause ab. Marker für die CD8-Zell-Aktivierung fielen mit Beginn der intensivierten Therapie und blieben unter dem Ausgangswert.

Die virale DNA stieg mit Beginn der intensivierten Therapie an – ein Hinweis, dass vielleicht latentes HIV reaktiviert wurde und fiel mit Rückkehr zur Standard-ART unter die Nachweisgrenze. Auch die HIV-DNA im Darm nahm während der intensivierten Therapie ab. Weitere Untersuchungen, z.B. an Lymphknoten, wurden wegen der Corona-Krise verschoben.

Auch die Menge an Antikörpern gegen HIV im Blut nahm im Laufe der Zeit ab; inzwischen ist sie so niedrig, dass ein herkömmlicher Schnelltest negativ ausfiel.

Kommentar Siegfried Schwarze:

Hatten wir das nicht schon einmal? Eine Sensation während eines Kongresses? Heilung? Erinnern wir uns an das „Mississippi-Baby“, bei dem es nach Absetzen der ART mehr als zwei Jahre gedauert hat, bis die Viruslast schließlich doch wieder anstieg. Vermutlich ist es einfach zu schön, um wahr zu sein. „Post-Treatment-Controller“ kennt man ja schon lang, aber dieser Fall ist deshalb besonders, weil durch die abnehmenden Antikörper klar ist, dass das Immunsystem tatsächlich kein HIV mehr zu sehen bekommt. Ob das aber wirklich gleichbedeutend mit einer Heilung ist, kann nur die Zeit zeigen. Bei Timothy Brown, dem ersten (durch eine Knochenmarkstransplantation) geheilten Patienten hat man immerhin 10 Jahre gewartet, bis er offiziell als „geheilt“ erklärt wurde. Schließlich gibt es in diesem Fall noch vier weitere Patienten, die mit demselben Regime behandelt wurden und bei denen es nicht zu einer Remission kam.

Aber was, wenn an der Sache tatsächlich etwas dran wäre? Wenn man zumindest bei einem Teil der Menschen mit HIV durch ein vergleichsweise günstiges und risikoarmes Verfahren eine Heilung erreichen könnte? Es sieht so aus, als wäre in die Heilungsforschung gerade neuer Schwung gekommen.


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