Positiv altern

2015 waren in den USA die Hälfte der Menschen mit HIV über 50 Jahre alt. Seitdem sind wir zwar alle 6 Jahr älter, aber nicht unbedingt klüger geworden - zumindest nicht in Bezug auf dieses Thema.

Der Artikel macht „erfolgreiches altern“ an acht Parametern fest und untersucht, wie diese möglicherweise günstig beeinflusst werden können – nicht zuletzt auch durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.

Die acht Punkte sind:

  • Lebenserwartung
  • Körperliche Gesundheit
  • Kognitive Effizienz
  • Geistige Gesundheit
  • Soziale Kompetenz
  • Produktivität
  • Kontrolle über das eigene Leben
  • Zufriedenheit mit dem eigenen Leben

Lebenserwartung

Seit Einführung der Dreifach-Kombination 1996 hat sich die Lebenserwartung von Menschen mit HIV ständig erhöht. Für Menschen, die sich erst in den späten 2000er Jahren angesteckt haben, die rechtzeitig mit einer Behandlung begonnen haben und die keinen i.v. Drogengebrauch haben, dürfte sich die Lebenserwartung – wenn überhaupt – nur wenig von der Allgemeinbevölkerung unterscheiden.

Fazit: Klassische Risikofaktoren wie Begleiterkrankungen, Rauchen, sitzender Lebensstil und Bewegungsmangel verbessern.

Körperliche Gesundheit

Unter körperlicher Gesundheit wird das Zusammenspiel aller Organe des Körpers verstanden. Hier gibt es große Unterschiede bei Menschen mit HIV. Zum einen können die Medikamente nicht bei allen die Funktion des Immunsystems zu 100% wiederherstellen, zum anderen gibt es durchaus auch Schäden durch HIV-Medikamente. Man denke nur an Insulinresistenz, Lipoatrophie, Lipohypertrophie und Anstieg der Blutfette. Nicht zuletzt werden deshalb Menschen mit HIV oft auch vielen Medikamenten, u.a. zur Bekämpfung von Nebenwirkungen der HIV-Therapie behandelt.

Fazit: Sorgfältige Wahl der HIV-Therapie, um das Risiko für Schad- und Wechselwirkungen so gering wie möglich zu halten.

Kognitive Effizienz

Unter „kognitiver Effizienz“ wird die Fähigkeit verstanden, durch Informationsverarbeitung Strategien für die optimale Gestaltung der persönlichen Umgebung zu entwickeln. Glücklicherweise ist durch die Erfolge der HIV-Therapie eine HIV-bedingte Demenz sehr selten geworden. Doch neben den klassischen Demenzformen, die mit dem Alter einhergehen (M. Alzheimer und vaskuläre Demenz), zeigen auch Menschen mit Ko-Infektionen wie Hepatitis C und Menschen mit Drogengebrauch ein erhöhtes Demenzrisiko. Hinzu kommen Erkrankungen wie Depression und Angsterkrankungen, die die kognitiven Fähigkeiten erheblich einschränken können.

Fazit: Handeln nach dem Motto: „Was gut ist für den Körper, ist auch gut für den Geist“.

Geistige Gesundheit

Geistige Gesundheit wird hier definiert als das emotionale Gleichgewicht, das erforderlich ist, um mit dem persönlichen und sozialen Umfeld effektiv zu interagieren und das Leben zu genießen. Leider interagiert HIV mit dieser geistigen Gesundheit auf zwei Arten: Menschen mit beeinträchtigter geistiger Gesundheit haben ein erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren und eine HIV-Infektion kann ihrerseits zu einer Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit führen.

Eine HIV-Infektion ist aber auch eine stigmatisierende, potenziell lebensbedrohende Erkrankung, die mit Angst, Schuld und Ungewissheit einhergeht. Eine HIV-Diagnose kann deshalb zu Angststörungen, Depression und Selbstmordgedanken führen. Zusammen mit Verarmung und Vereinsamung im Alter können sich solche Störungen noch verstärken.

Fazit: Psychische Störungen frühzeitig erkennen und angehen plus Hilfen bei der Finanzplanung um Altersarmut vorzubeugen.

Soziale Kompetenz

Soziale Kompetenz bedeutet hier die Fähigkeit, soziale Wechselwirkungen so zu steuern, dass körperliche, emotionale und intime Bedürfnisse befriedigt werden können.

Voraussetzung dafür ist ein intaktes Selbstwertgefühl. Dies leidet oft beträchtlich unter einer HIV-Diagnose; viele Menschen mit HIV sehen sich selbst als „beschädigte Ware“. Diese Unterminierung des Selbstwertgefühls wird durch Homophobie, Diskriminierung des Alters und/oder mangelnde Bildung und Finanzkraft noch verstärkt. Auch die körperliche Attraktivität spielt eine Rolle und auch diese kann durch HIV bzw. die Medikamente beeinträchtig sein (Lipoatrophie, Lipohypertrophie). Damit verringert sich der selbst wahrgenommene „soziale Wert“, was oft auch zu einem sozialen Rückzug und Vereinsamung führt, besonders bei älteren Menschen.

Fazit: Soziale Kompetenz steigern, z.B. durch Beratung, Selbsthilfegruppen und möglicherweise auch durch spirituelle / religiöse Gruppen.

Produktivität

Produktivität meint die Fähigkeit, wie gut man seine sich selbst versorgen kann sowie seine Ziele erreichen und zu Gruppenzielen beitragen kann. Mit der HIV-Infektion gehen oft Gesundheitsprobleme wie Müdigkeit, Durchfall oder Depression einher, die die Arbeitsfähigkeit einschränken oder – vor allem in früheren Jahren – eine Frühberentung erfordern.

Arbeit ermöglicht aber Kontakt mit anderen, Bildung sozialer Netzwerke und ist wichtig für den Selbstwert. Für Menschen, die mit HIV altern, gibt es also eine Reihe von Herausforderungen. Möglicherweise haben sie krankheitsbedingt lückenhafte Erwerbsbiografien oder einen frühen Renteneintritt was zu einer deutlich verringerten Rente führt. Viele Menschen, die sich in den 1980er oder 1990er Jahren infizierten, gingen davon aus, bald zu sterben und haben Schulden angehäuft um die verbleibende Zeit in relativem Komfort zu leben. Nach Einführung der HIV-Kombinationstherapie mussten diese Patienten erst einmal wieder lernen zu leben, ein Phänomen, das man als „Lazarus-Syndrom“ bezeichnete. Diese Menschen müssen bis heute mit relativ geringen finanziellen Ressourcen auskommen, während die Kosten der Lebensführung ständig steigen.

Fazit: Ein Wiedereintritt in das Erwerbsleben ist heute schwierig, aber auch Menschen mit HIV machbar. Hier gilt: Hilfe suchen und annehmen.

Kontrolle über das eigene Leben

Die Kontrolle über das eigene Leben hängt eng mit der sozialen Kompetenz zusammen. Aber sobald man eine HIV-Diagnose erhält, kann diese Kontrolle zumindest zeitweise verloren gehen. Denn man ist sich danach unsicher, wie lange es wohl dauert, bis man krank oder arbeitsunfähig wird oder gar stirbt. Diese Ängste gibt es auch im Zusammenhang mit anderen potenziell lebensbedrohenden Erkrankungen wie Krebs und werden als „Damokles-Syndrom“ bezeichnet.

Mit diesem (Teil-)Verlust der Kontrolle über das eigene Leben klarzukommen ist ein wichtiger Faktor für erfolgreiches altern. Dazu gehören passive und aktive Strategien. Passive Strategien versuchen negative Gefühle durch Vermeidungsstrategien wie Fernsehschauen oder Drogenkonsum zu mildern, helfen aber nicht ursächlich. Aktive Strategien sind erforderlich, um die Quelle der negativen Gefühle anzugehen. Dazu kann es beispielsweise förderlich sein, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen oder auch einen Finanzberater zu konsultieren.

Viele Menschen erleben zunächst einen Verlust der Kontrolle über das eigene Leben, wenn sie ihre HIV-Diagnose erhalten, durchleben aber dann einen Anpassungsprozess. Selbst wenn man HIV nicht mehr loswerden kann, kann mal selbst durch die korrekte Einnahme der Medikamente „etwas tun“.

Fazit: Strategien der Bewältigung lassen sich erlernen, z.B. durch durch Austausch in Selbsthilfegruppen oder verhaltensorientierte Programme.

Zufriedenheit mit dem eigenen Leben

Die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben ist nicht objektiv messbar und oft erstaunlich unabhängig von den äußeren Umständen. Menschen mit wenig Geld und großen Gesundheitsproblemen können trotzdem sehr zufrieden mit ihrem Leben sein. Ganz offensichtlich spielen hier andere Faktoren, wie z.B. Spiritualität eine große Rolle. In einer Befragung gaben 72% an, dass sich ihre Spiritualität nach der HIV-Diagnose verändert hätte. Immerhin 44% gaben an, ihrer HIV-Infektion etwas Positives abgewinnen zu können. Die Infektion hätte ihnen geholfen, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren, Veränderungen vorzunehmen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wenig überraschend sind dies gerade auch die Menschen, die mit dem Alter besser klarkommen.

Fazit: Auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren und gegebenenfalls Änderung vornehmen.

Altern mit HIV ist nicht einfach

Die oben beschriebenen Faktoren überlappen sich teilweise und beeinflussen sich auf vielen Ebenen. So kann verringerte kognitive Effizient zu einer schlechten Adhärenz, viraler Resistenz und Therapieversagen und damit schlechter biologischer Gesundheit führen, was wiederum die Lebenserwartung verkürzen kann. Oder der gemeinsame Einfluss von kognitivem Abbau, schlechter körperlicher Gesundheit, reduzierter sozialer Kompetenz, Produktivität und geistiger Gesundheit beeinträchtigt die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Um das Altern mit HIV für den Großteil der Menschen, die heute mit HIV leben, erfolgreich, erträglich und auch erstrebenswert zu machen, müssen deshalb Interventionen auf all diesen Gebieten (weiter-)entwickelt werden.


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